„Ich bin kein Bot, nehmt mich ernst“

Gestern war ich mal wieder bei einer netzpolitischen Demo in Köln. Da ich offenbar der einzige Journalist vor Ort war, der für Medien jenseits von YouTube arbeitet, schreibe ich hier einige Kontexte und Eindrücke auf.

Zunächst mal: Die Demo war ein außergewöhnlicher Erfolg. Innerhalb von nur zwei Tagen hatten es die Organisatoren geschafft, ihre Botschaft zu verbreiten und ihre Follower davon zu überzeugen, dass es nicht reicht, nur eine Online-Petition zu unterschreiben oder im eigenen Kreis per WhatsApp oder TeamSpeak über die Politiker zu lästern. Auf der Straße waren schätzungsweise 1000 bis 1300 Teilnehmer. Ich habe viele Demos gesehen, die mit einem Vielfachen an Aufwand und Vorbereitungszeit lediglich 200 oder gar nur 50 Leute auf die Straße brachten – selbst wenn die Bedingungen ideal waren.

Die YouTube-Szene hat sich in den vergangenen Jahren nie wirklich für netzpolitische Themen mobilisieren lassen – und wenn sie doch aktiv wurde, tat sie das außerhalb der etablierten Strukturen. Das Medium einer Straßendemo ist für alle Beteiligten ziemlich wesensfremd. Diese machte sich schnell bemerkbar: So gab es statt des üblichen Lautsprecherwagens nur einen Lautsprecher, der von zwei Ordnern in die Höhe gehalten wurde, so dass einige Redebeiträge kaum verständlich waren. Solche Lektionen muss jede neue Bewegung lernen.

Es handelt sich augenscheinlich um eine neue Bewegung. Von den Leuten, die sich sonst keine Netzdemo entgehen lassen, waren nur einzelne vor Ort. Im ganzen Demozug habe ich zum Beispiel nur eine Flagge der Piratenpartei gesehen. Es hat wohl schlicht niemand dran gedachte, die Piraten aus dem Kölner Umland frühzeitig zu alarmieren. Die Kanäle, auf denen sich der Demo-Aufruf massenhaft verbreitete, werden von Leuten über 30 Jahren eher selten gelesen.

Das heißt auch: Die Beteiligten haben noch nicht ihre vorgefertigten Talking Points parat. Einige Teilnehmer hatten allenfalls vage Vorstellungen davon, was sie denn konkret demonstrieren. Der erste Jugendliche, den ich drauf ansprach, war tatsächlich der Auffassung, dass seine Lieblings-Youtube-Channel oder gleich die ganze Plattform geschlossen werden würden. Gleich darauf wurde er aber von vier umstehenden Mitdemonstranten korrigiert.

Auch wenn der Artikel 13 auf fast allen Bannern explizit thematisiert wurde, ging es doch um mehr. Für die meist jugendlichen Teilnehmer ist YouTube ist nicht irgendeine Plattform eines Silicon-Valley-Konzerns, sondern eine Heimat. Hier haben sie nicht nur Gleichgesinnte, sondern ihre eigene Identität gefunden. Ein paar davon versuchen damit ihren Lebensunterhalt zu verdienen, aber für die meisten ist YouTube keine Geldquelle, sondern Ursprung einer Solidarität, die sie sonst nicht im Leben erfahren. Ich lebe nicht nur mein Leben, ich lebe Deines mit, wenn Du mich dran teilhaben lässt.

Genau diesen Nerv hatten Politiker wie Sven Schulze getroffen, die darauf bestehen, dass der Widerstand gegen die Urheberrechtsreform eine externe Kampagne ist, die mit Bots und Fake-Emails agiert. Insbesondere ein Banner brachte es daher auf den Punkt: „Ich bin kein Bot, nehmt mich ernst!“ Ein anderer gern zitierter Spruch: „Warum sollen alte Männer über mein Internet bestimmen?“ Andere Botschaften waren krasser: „Artikel 13 tötet uns“. Viele befürchten, dass die Freiheiten unter denen sie aufgewachsen sind, nun wieder genommen werden sollen. Dass sie in Rollenschemata einer für sie vergangenen Welt gepresst werden sollen.

Für viele war es die erste Demo ihres Lebens. Deshalb steht es in den Sternen, wie es weitergeht. Schaffen die YouTuber — man erlaube mir hier diese Vereinfachung — den Schulterschluss mit anderen gesellschaftlichen Gruppen und Organisationen? Brauchen sie den überhaupt, damit die Abgeordneten des Europaparlaments in den protestierenden Jugendlichen eine zu wichtige Gruppe für den Wahltermin im Mai sehen und nicht nur einen Bestandteil des Lobbyings von Google? Ausgeschlossen scheint mir, dass die etablierte Politik die Jugendlichen davon überzeugt, dass die Urheberrechtsreform in ihrem Interesse ist. Dazu wurde zu viel Porzellan zerschlagen.