Missverständnisse zum Bedingungslosen Grundeinkommen — ein Rant

Bitte hört auf, über das Bedingungslose Einkommen zu reden. Es ist nicht gut für Euch, es ist nicht gut für die Sache, die ganze Debatte ist eine einzige Zeitverschwendung. Wenn ich an den großen Verschwörer im Hintergrund glauben würde, würde ich sagen: Es ist ein Ablenkungsmanöver. Da ich diesen Verschwörer aber bisher nicht sehe, bin ich zum Urteil gekommen, dass das BGE eine kollektive Selbsttäuschung ist, eine Denkverweigerung, eine Bankrotterklärung des breiten wirtschaftspolitischen Diskurses.

Eigentlich war ich ein Fan des Bedingungslosen Grundeinkommens. Wie konnte ich es auch nicht sein? Ich hab studiert, ich schreibe — wenn ich mir ohne Risiko ein Sabbatjahr nehmen könnte, um ein Thema zu recherchieren, ein Buch zu schreiben oder mich als Experte für das chinesische Internet fortzubilden, wäre das toll — ein tatsächlich bedingungsloses Grundeinkommen würde es mir ermöglichen. Zudem bin ich studierter Volkswirt: Mit Sorge sehe ich die Entwicklungen einer produktivitätsgetriebenen Gesellschaft, die die Reichen immer reicher macht und keine Antworten auf wichtige Zukunftsprobleme liefert. Das Bedingungslose Grundeinkommen könnte — selbst, wenn es nie realisiert wird — einen belebenden Effekt auf die Debatte haben und unseren Blick auf die Zukunft schärfen.

ABER. DAS PASSIERT. EINFACH. NICHT.

Seit fast zehn Jahren verfolge ich die Debatten zum Bedingungslosen Grundeinkommen, lese die wenigen Modelle, höre mir philosophische und andere Begründungen an. Und seit zehn Jahren dreht sich die Debatte im Kreis, weil tatsächlich niemand ein Interesse daran hat mehr als nur halbgare Modelle zu liefern.

Ein Grund dafür ist, dass es nicht das eine Bedingungslose Grundeinkommen gibt. Unter dem Begriff werden einige einander widersprechende Modelle verkauft. Da gibt es die einen, die allen gesellschaftlichen Wohlstand in einen riesigen Sack packen und anschließend neu verteilen wollen. Leider verraten sie niemanden, wie groß die Enteignungen denn wären und wie denn die Verteilung anschließend funktionieren soll. Dann gibt es die Hyper-Marktwirtschaftler, die das BGE als eine Art Ablasshandel sehen: Der Staat und die Wirtschaft wird gegen die Zahlung eines Betrages X von der Verpflichtung entbunden, sich ein Solidarsystem zu leisten. Jeder bekommt ein paar Hundert Euro pro Monat und muss dann halt die Klappe halten, wenn Algorithmen und Roboter die Arbeit übernehmen und den Kapitaleignern jeden neuen Wohlstand zuschustern.

Dystopischer Albtraum BGE

Und dann gibt es noch das Modell, das sich als Wohltat für Arme verkauft und sich bei näherer Betrachtung als neoliberaler Albtraum herausstellt. Jeder bekommt 1000 Euro pro Monat. Und wir finanzieren es über eine Umsatzsteuer und die überkommenen Sozialkassen! Das Problem daran: Wenn die Umsatzsteuer 100 Prozent beträgt — wie viel kann man dann von 1000 Euro kaufen? Und wenn Du eine private Krankenversicherung kaufen sollst, wie viel bleibt dann noch übrig? Und was passiert mit der Miete, wenn jeder einen Grundbetrag X zur Verfügung hat?

Jeder, der auch nur in der 10. Klasse Volkswirtschaft gelernt hat, sollte dann erkennen, dass ein solches Modell perpetuierte Armut bedeuten würde. Und wer ein Grundstudium in Volkswirtschaftslehre absolviert hat, müsste sehen, das dieses Modell in kürzester Zeit zusammenbräche. Ob es zuerst zu Hyperinflation oder zu desaströsen Verteilungskämpfen käme, ist dann auch nicht mehr wichtig.

Ein großes Missverständnis der BGE-Bewegung: Sie verwechselt Geld mit Wohlstand. Als Kind bekam ich mal einen Nachdruck eines der ersten Micky-Maus-Hefte Deutschlands in die Hand. Darin gab es die Geschichte, in der Onkel Dagobert keinen Geldspeicher in der Stadt, sondern ein Geldsilo auf einer großen Farm hatte. Eines Tages kam ein großer Wirbelsturm und verteilte das viele Geld aus dem Geldsilo über das gesamte Land. Alle waren plötzlich Millionär und niemand arbeitete mehr. Onkel Dagobert jedoch bewirtschaftete seine Farm weiter und jeder, der noch etwas essen wollte, musste bald seine Millionen wieder bei Onkel Dagobert abgeben.

Man kann nun zwei Lektionen aus der Kindergeschichte ziehen. Nummer Eins: Wenn Menschen Geld bekommen, hören sie auf zu arbeiten. Das ist die falsche Lektion. Die richtige Lektion hingegen ist: Ein bestimmter Geldbetrag X ist nun lange kein Synonym für ein auskömmliches Leben.

Kanada? Finnland? Nein, Saudi-Arabien!

Ein großer Teil der BGE-Debatte dreht sich noch um die erste Lektion: Werden Menschen faul, wenn sie plötzlich ein auskömmliches Einkommen lassen? Ich sehe den Sinn der Frage nicht wirklich. Wir haben in der Geschichte nun wirklich viele, viele Menschen mit auskömmlichen Einkommen, deren Verhalten wir beobachten können. Haben sich die Kinder von Donald Trump in sicherer Erwartung ihres Erbes zur Ruhe gesetzt? Nein. Sie gehen noch Beschäftigungen nach. Ob diese Beschäftigungen jedoch als gesellschaftsfördernd gelten können, ist eine ganz andere Frage.

Viel wird über Feldversuche in Finnland oder Kanada erzählt und geschrieben. Und da das hier ein Rant ist, formuliere ich es mal so: Diese Experimente sind purer Bullshit, sofern es um ein Bedingungsloses Grundeinkommen geht, das tatsächlich bedingungslos wäre und gleichzeitig auf Dauer die gesellschaftliche Teilhabe sichern würde. Denn beides wird bei den Experimenten ja nicht gemacht. Was bleibt also? Ob es Menschen besser geht, wenn man ihnen ein paar Hundert Euro gibt und sie nicht drangsaliert werden — wer stellt das wirklich in Frage? Natürlich geht es ihnen besser. Die tatsächlich zu klärende Frage ist: Wie werden es mehr als ein paar Hundert Euro? Und was passiert, wenn wirklich jeder davon profitiert?

Der Feldversuch, von dem Euch nie ein Anhänger des Bedingungslosen Grundeinkommens erzählen wird, ist gleichzeitig der relevanteste: Saudi-Arabien. Zwar hat das Land kein formelles Grundeinkommen, doch die Steuerfreiheit von Bürgern, verbunden mit Zigtausenden Pro-Forma-Jobs bei der Regierung und sonstigen Wohltaten des Herrscherhauses lassen eine Volkswirtschaft entstehen, die dem recht nahe kommt, was die BGE-Evangelisten versprechen. Und das Ergebnis sieht für meine Augen furchtbar aus.

Das ist zum Beispiel der Import von Arbeit. Alle unangenehmen Arbeiten werden soweit wie möglich an externe Arbeitskräfte von den Philippinen oder aus Indien vergeben. Diese sind nicht nur von den staatlichen Wohltaten ausgeschlossen, sondern obendrein ziemlich rechtlos. Auch die Menschen, die von den materiellen Transfers profitieren, leben in einer geistigen Armut. Ohne Kinos, ohne Frauenrechte, ohne Zivilgesellschaft. Was bleibt, sind Shopping-Malls. Luxuriöse, klimaregulierte, seelenraubende Shopping-Malls. Und das ist der Erfolgsfall eines BGE-Modells, das sich nicht die Frage nach der Finanzierbarkeit stellen muss, das Probleme der Versorgung einfach auf andere, ärmere Länder exportiert hat. Und die sich nicht wirklich um das Morgen kümmert, wenn das Öl einmal versiegt ist.

Wofür seid ihr wirklich?

Ist das wirklich Eure Vision für die Zukunft? Nein? Dann lasst diesen schrecklichen Begriff weg.

Wenn ihr gegen Hartz-IV-Sanktionen seid, dann sagt nicht: Ich bin für ein Bedingungsloses Grundeinkommen. Sagt, dass ihr gegen Hartz-IV-Sanktionen seid. Sagt, dass ihr gerne Steuergelder investieren würdet, um Euren Mitmenschen ohne Arbeitsmöglichkeiten ein würdigeres Dasein zu ermöglichen.

Wenn ihr dagegen dafür seid, dass die Chancen in der Gesellschaft besser verteilt sind, sagt nicht, das ihr für ein Bedingungsloses Grundeinkommen seid. Sagt, dass ihr neue Arbeitsmodelle ausprobieren wollt, die Familie und Arbeit vereinen, die Eure gesellschaftliche Mitsprache sichern. Unterhaltet Euch über realisierbare Maschinensteuern oder Kapitalmarktvorschriften, die verhindern, dass jeder wirtschaftliche Fortschritt den gesellschaftlichen Rückschritt finanzieren. Wie wollt ihr die Einwanderung regeln?

Und falls ihr tatsächlich für ein Bedingungsloses Grundeinkommen seid, dann lasst uns endlich anfangen richtig darüber zu reden. Sucht Euch ein Modell aus und arbeitet dran. Und zwar weiter als es die Rattenfänger der letzten Jahre getan haben, die Euch versprechen, dass alles irgendwie gleich bleibe — nur eben besser. Wer wirklich an ein Bedingungloses Grundeinkommen glaubt, will nicht weniger als eine Revolution, die keinen Stein auf dem anderen lässt. Und Revolutionen haben nun mal die Angewohnheit, dass sich die Revolutionäre dann mit der Realität und der Umsetzung ihrer Ziele beschäftigen müssen. Eine andere Konstante ist: Bei Revolutionen zahlen viele Menschen drauf — und nicht nur die, für die das beabsichtigt war.

Wenn ihr über BGE diskutieren wollt, stellt Euch zum Beispiel erst einmal diese Fragen: Wollt ihr eine Planwirtschaft oder keine? Falls ja: Warum soll das plötzlich besser klappen als bei den letzten Versuchen? Falls nein: Wie soll der Markt denn funktionieren? Den alten habt ihr ja eben beerdigt. Ihr könnt Euch nicht darauf rausreden, dass irgendwer schon eine Lösung, ein neues Modell finden werde, mit dem Ihr euch dann im Fall der Fälle schon beschäftigen werdet. Die letzten zehn Jahre haben gezeigt: Wenn ihr es nicht tut, wird es niemand anderes tun. Jemand wird Euch den Begriff wegnehmen und Eure Albträume draus machen.