Tolle Zeiten für schlechten Journalismus

Ich habe mehrfach gelesen, dass mit Trump tolle Zeiten für guten Journalismus anbrechen. Journalisten haben nun eine Chance sich an einem Gegner abzuarbeiten, der gewohnheitsmäßig lügt. Medien können die Macht der Fakten neu ergründen. Das mag stimmen, die Abozahlen von Trump-kritischen Medien mögen in die Höhe schnellen. Doch es sind ebenso tolle Zeiten für den schlechtesten Journalismus von allen.

Gestern habe ich zum Beispiel dieses Video gefunden und es macht mir wirklich Angst um den Journalismus. Es stammt von dem TV-Journalisten Ben Swann, der seit Jahren mit Verschwörungstheorien auf sich aufmerksam macht und bei einem nun kleinen Lokalsender in Atlanta arbeitet. Hier bekommt er eine Plattform für seine „Reality checks“, die unter der Marke CBS46 verbreitet werden.

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Ben Swann möchte sich so weit wie möglich von dem „Mainstream“ der Medien entfernen, ihre Lügen bloßstellen. In dem aktuellen Video geht es zum Beispiel um „Pizzagate“, eine der berüchtigsten Verschwörungstheorien und Fake-News. Kurz zusammengefasst: Da in den von Wikileaks veröffentlichten Podesta-Emails öfters von einem bestimmten Pizzaladen die Rede war, vermuteten Gegner der demokratischen Partei dort irgendwelche dunklen Machenschaften. Aus mir unerfindlichen Gründen kamen sie auf die Idee, dass in dem Keller ein Kinder der Pizzeria vergewaltigt werden. Schon vor geraumer Zeit wurde die Pizzeria aus den Podesta-Emails von jedem Verdacht befreit.

Die Schlussfolgerung für einen normalen Manschen wäre: An den Gerüchten war nichts dran. Die ganze Idee war absurd. Aber es gibt tatsächlich Leute im Internet, die von Pizzagate nicht lassen können. Sie haben kurzerhand einen anderen Laden in Washington D.C. zur Kindermissbrauchs-Zentrale ernannt, weil dessen altes Logo vage an ein Pädophilen-Geheimsymbol erinnert hat. Zudem trat in dem Etablissement eine Band namens „Sex Stains“ auf. Und der Eigentümer hat Verbindungen zu Leuten, die in der Politik arbeiten. Und, und, und…

Trivialitäten werden zum Skandal umgedeutet

Diese Trivialitäten listet Ben Swann in routinierter Journalisten-Pose auf und präsentiert sie als Hinweise auf ein Verbrechen, auf eine gewaltige Verschwörung. Für seine Recherche hat er offensichtlich mit niemandem gesprochen, sondern nur in Verschwörungs-Foren durchforstet. Würde er vor Ort mal nachfragen wüsste er, dass jeder Restauranteigner in dem Umkreis Beziehungen zu Politikern hat, da das Veranstalten von politischen Events eine Haupt-Einnahmequelle von Restaurants in D.C ist. Er würde Hunderte von Logos finden, die an Geheimsymbole erinnern, er würde von Polizisten hören, was ein Tatverdacht ist und was nicht.

Swann interessiert nichts davon. Kurioserweise fehlt bei den „Reality checks“ eben das: Der Abgleich mit der Realität. Seine Schlussfolgerung ist daher: Die Polizei müsste diesen Hinweisen nachgehen. Gleichzeitig sagt er sagt mehrfach, dass es keine Beweis gebe. Würde die Polizei den vagen Verdächtigungen nachgehen, wäre Swann allerdings auch nicht zufrieden. Seine Fans schreiben unter den Videos Dutzende weiterer angeblicher Hinweise auf immer neue Beteiligte der Verschwörung. Wenn man einmal die Prämisse akzeptiert, dass Pizza ein Geheimsymbol für Vergewaltigung von Kindern ist, sieht man überall Hinweise für absolut Böses. Und wenn der eine Pizzaladen keine Kinder vergewaltigt, dann ganz gewiss der nächste. Oder der übernächste. Man müsste also wohl jedes Haus in Washington durchsuchen, um Pizzagate zu widerlegen. Und in der Zwischenzeit hat er Swann 15 neue Verschwörungstheorien publiziert.

Wer einmal eine gewisse Grenze überschritten hat, sieht man sogar satanische Botschaften auf Energydrinks.

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Für Trump gelten andere Maßstäbe

Übrigens sieht Swann die Sache ganz anders, wenn Trump auf der Empfängerseite der Gerüchte ist. Auch ich habe die Veröffentlichung des Russland-Dossiers durch Buzzfeed verurteilt. Swann tut das in einem Video auch. Dabei behauptet er aber, kein einziger Satz in den Dossiers sei belegt – das ist falsch. Es sind viele Sätze unbelegt, nicht alle. Sonst sagt Swann viel, was auch die Kritiker in dem von ihm verhassten Mainstream schrieben: Dass die Veröffentlichung von unbelegten Gerüchten kein Journalismus sei und vieles weitere mehr.

Um das Dossier von unbelegten Behauptungen zur Fake-News zu befördern, flicht Swann ein, dass im berüchtigten Forum 4Chan jemand behauptet hat, der Urheber der Behauptungen in dem Dossiers zu sein, die er an dann an die Medien gegeben habe, um sie als Lügner zu entlarven. Was Swann nicht erwähnt: 4Chan hat immer wieder behauptet Gerüchte in die Welt gesetzt zu haben, mit denen sie nichts zu tun hatten. (Man erinnere sich an Böhmermanns Mittelfinger-Video. Diesen Effekt versucht 4Chan immer wieder zu produzieren.) Was der selbst ernannte „Truth lover“ zudem verschweigt: Der Mann, dem der anonyme 4chan-Nutzer die Story geleakt haben will, hat dies längst dementiert. Was Swann Buzzfeed völlig zu Recht vorwirft, macht er gleich darauf selbst.

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Das Beunruhigende: Der Mann hat einen Job als Journalist, er kann seine Arbeit zusammen mit der anerkannten Marke CBS präsentieren. Im CBS Hauptprogramm laufen Trump-kritische Programme wie Full Frontal with Samatha Bee oder die Late Show mit Stephen Colbert, zudem hat die CBS Newshour einen guten als unparteiische Nachrichtensendung. Swann imitiert die Äußerlichkeiten dieser Sendungen. Mit Erfolg: Seine Zuschauer verwechseln das bloße Wiederholen von Gerüchten mit Recherche, mit Journalismus, mit der Wahrheit.

Das Problem ist nicht Swann

Das wirklich Beunruhigende ist: Niemand scheint daran Anstoß zu nehmen. In seiner eigenen Blase wird Swann hochgelobt, außerhalb wird er ignoriert. Beunruhigend auch: Seine Methoden werden hoffähiger. Man kann keinen klaren Trennstrich ziehen, wo Fake-News anfangen. Der aufs Astronomische beschleunigte Veröffentlichungszyklus haben auch dem etablierten Journalismus das Endgültige entzogen. Wichtige Fakten werden per Updates nachgeliefert, Überschriften laufend angepasst. Unnötige Falschmeldungen werden in Windeseile verbreitet.

Gleichzeitig stehen Journalisten unter riesigem Druck, die Publikumserwartungen zu erfüllen. Auch die Buzzfeed-Veröffentlichung wurde mit Journalismus und Recherche verwechselt – aber wohl vorrangig von Leuten, die Trump nicht gut finden. Auch wenn Buzzfeed von vielen Journalisten beschimpft wurde, hat das Medium von dem gewaltigen Klickerfolg profitiert. Die Versuchung ist groß, diesem Sog zu erliegen. Und der ökonomische Druck ist es ebenso. Meine Hoffnung ist, dass die Trump-Ära hervorragenden Journalismus zu Tage fördert. Meine Gewissheit ist, dass furchtbarer Journalismus auch proftieren wird.

PS: The Daily Beast hat sich auch mit dem Video auseinandergesetzt – und fand bei den Sendeverantwortlichen nur demonstratives Desinteresse:

The Daily Beast repeatedly tried to reach executives at CBS 46 and CBS News for comment on Wednesday. After several emails, CBS 46 News Director Frank Volpicella answered a phone call at 6 p.m., saying he didn’t have time to comment because his newscast was about to go on the air.
“I will say Ben was meticulous with his fact-finding and sourcing on his Reality Check segment,” Volpicella said.
When pressed about the lack of any reporting in the piece, Volpicella doubled down.
“Ben was meticulous,” he said. “I have to go,” telling The Daily Beast to call back immediately after the show ended. But Volpicella and station staffers then ignored or turned away a half-dozen phone calls requesting further comment.

Von der Website des Senders ist das Video verschwunden, auf YouTube und Facebook kann Swann ungestört weiter senden.