Plädoyer für unlikebaren Journalismus

Karsten Lohmeyer schreibt:

Wo jede einzelne Seite zur Titelseite wird. Der Anspruch eines modernen (Digital-)Journalisten sollte sein, den Leser zu begeistern und ihm ein Like oder einen Tweet zu entlocken – aber mit hochwertigen journalistischen Inhalten und nicht nur mit lustigen Katzen-Gifs und Viral-Headlines im heftigen Clickbaiting-Stil.

Nein. Der Anspruch eines modernen und eines unmodernen Journalisten sollte sein, seine Leser zu informieren. Sicherlich sind Auflage und Likes sehr hilfreich die Leser zu Informationen zu lotsen. Doch klappt das eben nur bei einem Bruchteil von Informationen. Wer eine Zeitung aufschlägt, bekommt jede Menge Informationen, die eben nicht aufsehenerregend oder besonders likebar sind, aber sie sind dennoch in ihrer Gesamtheit wichtig und bemerkenswert.

Wenn man sich auf Likes fixiert, ist man versucht eben den langweiligen Kram wegzulassen. Ein Beispiel: Vor einiger Zeit las ich in der Lokalzeitung einen Kommentar, dass die Stadtverwaltung höchst alberne Vorschriften aufstellt und das Balancieren auf Seilen verbietet, die zwischen zwei Bäumen gespannt sind. Für viele sind Botschaften wie „die ausgeflippten Bürokraten da oben sind Spaßbremsen“ sehr like-bar.

Der Kommentar war aber Blödsinn: Tatsächlich hatten die Seile am Grüngürtel beträchtliche Schäden an Bäumen ausgelöst und die Stadtverwaltung hatte sich sogar um Ersatz gekümmert und eigens Pfosten aufstellen lassen, die dem Balancier-Sport entgegenkommen, einige Bäume bekamen auch einen Schutz verpasst. Die Bürokraten waren also weder ausgeflippt noch waren sie Spaßverderber. Doch die Meldung, was sie tatsächlich getan haben, war schlichtweg eine, die keinerlei Begeisterung auslöst, die eben im Allgemeinen nicht geliket wird.

Wenn man das weiterdenkt, kann man die Journalisten aus so langweiligen Gremien wie dem Stadtrat ganz abziehen. Das bringt ja keine Klicks und Likes. Wenn dann eine Mannschaft anrückt um einen Park abzuholzen und kein Anwohner Bescheid wusste, kann man ja schließlich viel einfacher „Skandal“ schreien. Und bekommt Likes en masse. 

Dem Volk aufs Maul geschaut

Boulevardzeitungen rühmen sich ja gerne, dass sie die Stimme des Volkes sprechen. Nur lauter. Und wie beim Volk im Biergarten kommt die laute Stimme auch oft mit einer Alkoholfahne.

Im Kölner Kommunalwahlkampf wurde unter anderem von den Piraten eine ÖPNV-Flatrate für alle vorgeschlagen. Der Express machte daraus vergangene Woche diese Schlagzeile über den „irren Nahverkehrsplan“.

Express irre

Offenbar kam der Vorschlag so gut an, dass sich der Biergarten die Redaktion flugs umentschied. Wenige Tage später war es kein irrer Plan mehr, sondern ein EXPRESS-Vorschlag.

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Was ein Pech, dass man den Express am Sonntag nicht wählen konnte. Obwohl: Am Samstag verschenkte der Verlag die Zeitung bei mir im Supermarkt. Ich sah nicht viele, die zugriffen.

Bullshit, Teil 1

Ich habe in der vergangenen Woche auf der re:publica einen Vortrag zum Thema Bullshit als künftiges Geschäftsmodell des Journalismus gehalten. Ich will hier nochmal meine Thesen etwas genauer aufarbeiten.

Bullshit ist bei weitem kein neues Geschäftsmodell. Wir müssen nur auf das Zeitschriftenregal neben der Supermarktkasse gucken, wo dutzendfach die Ausgaben der Regenbogenpresse aufgestapelt sind. Krebs-Drama bei Promi X, Babygerüchte bei Promi Y, Trennungsgerüchte bei eigentlich jedem. Alle diese Meldungen haben gemein: Sie haben nichts mit der Lebenswelt der Leser zu tun und es ist eigentlich egal ob sie wahr sind oder nicht. Sie sind schreiend laut und oft irreführend. Promi X ist gar nicht krebskrank, sondern nur sein Schwager. Der Babybauch ist zwei Jahre alt. Und steht auf der Titelseite eines solchen Magazins eine Frage, kann man sie getrost mit „Nein“ beantworten — oder mit „Wissen wir auch nicht“. Diese Blätter sind die Clickbaiter der Print-Branche.

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Auch bei seriöseren Tageszeitungen kommt das Bunte nicht zu kurz. Auf der Titelseite verkünden diese zwar Steuerschätzungen und Ukraine-Krise. Doch jede Zeitung hat einen Teil der „Panorama“ oder „Aus aller Welt“ heißt, wo die bunten Meldungen stehen: Der Leguan im Baggersee, der Schluckauf der Queen, ein nackter Dieter Bohlen. Und da die Zeitungsleute 200 Jahre Erfahrung haben, muss man nicht aufwändig blättern, um diese Seite zu finden. Man dreht einfach die Zeitung um — und da steht das, worüber man sich in der Kaffeepause unterhalten kann. „Hast Du schon gehört?“

Unterhaltsames schlichtweg „Bullshit“ zu nennen wäre übertrieben. Die Welt ist kurios, wir sind an kuriosen Dingen interessiert. Warum also die Nase rümpfen? Der Grund: Das Internet. Wie wir die Folgen der Klimaerwärmung anerkennen müssen, müssen wir auch sehen, dass das Verlagsgeschäft, der Markt der Nachrichten verändert hat. Es gibt viele Veränderungen zum Besseren und viele Veränderungen zum Schlechteren. Und viele Entwicklungen, bei denen wir die Bilanz noch nicht kennen. Eine davon ist die Fragmentarisierung. Sie ist Lebensgrundlage für die Bullshitter, deren Existenz ich als Journalist beklage.

Warum nicht einfach bullshitten?

Früher waren Zeitungen und Zeitschriften auf vielfache Weise darin begrenzt, hemmungslos irreführende und emotionalisierende Texte zu verbreiten. Wer zum Beispiel das lukrative Geschäft mit den Staatsanzeigen machen wollte, musste staatstragene Nachrichten verbreiten. Wer Promi-Kitsch verbreitet, braucht eine große Rechtsabteilung, da sich die Prominenten eben nicht mehr alles bieten lassen. Der werbetreibende Möbelhändler möchte nicht mit einem Revolverblatt verbunden werden. Und nicht zu vergessen: Der Leser möchte nicht veräppelt werden.

Eine Seite wie heftig.co hat alle diese Probleme nicht. Der Online-Werbemarkt in seiner derzeitigen Funktion kennt keine Qualitätskriterien. Klicks, Verweildauer, Aufmerksamkeit. Warum soll man über teure deutsche Prominente schreiben, wenn es da draußen sechs Milliarden Menschen gibt, die niemals in Deutschland klagen könnten? Warum soll man nicht hemmungslos unseriös werden, wenn kein Werbetreibender jemals zu Gesicht bekommt, wo er da sein Geld ausgibt. Und: Die Texter müssen nicht mehr raten, was der Leser will. Jede manipulative Überschrift kommt mit einer sofortigen Erfolgskontrolle über Klicks und Likes. Und wenn der Domainname schließlich verbraucht und verrufen ist, macht man einen neuen auf.

Lektion Bullshit

Es ist wahr, dass seriöser Journalismus neben der Regenbogenpresse bestehen kann. Doch wie viel davon? Ich habe eine Journalistenschule besucht — mehr als die Hälfte meiner Kommilitonen macht keinen Journalismus mehr, sie sind in die PR gegangen, schreiben für Firmen und Organisationen und nicht für den Leser. Die publizistischen Firmen schauen derweil sehr genau auf die Erfolge von Buzzfeed und Co. Und versuchen die Rezepte nachzuahmen. Jedes Onlinemedium hat heute Liveticker, fast jedes hat „Listicles“, also Artikel, die nur noch aus Aufzählungen bestehen. Journalisten publizieren bevor sie prüfen könnten.

Aktuell lässt sich das zum Beispiel beim Nachrichtensender CNN sehen. Der Anbieter leidet seit Jahren unter einer chronischen Quotenschwäche — was garantiert nicht an übersteigertem Qualitätsbewusstsein lag. Doch mit der Suche nach dem verschwundenen Flugzeug der Malaysian Airlines hatte der Sender einen hemmungslosen Tiefpunkt zelebriert.

Dave Pell fasst die tatsächliche Nachrichtenlage so zusammen:

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Trotzdem füllte CNN sein Programm Stunde um Stunde mit neuen Nicht-News. So wird die Erkenntnis, dass ein Flugzeug nicht unbegrenzt ohne Treibstoff fliegen kann zur aufregenden Neuigkeit stilisiert, Experten werden allen Ernstes befragt, ob ein schwarzes Loch das Flugzeug und seine Passagiere verschlungen habe. Der betreffende Moderator schämt sich noch ein bisschen, aber die Quoten werden ihm das schon austreiben. Denn die gingen durch die Decke.

Im nächsten Beitrag widme ich mich der Frage: Was ist Bullshit eigentlich?