Die Vorratsdatenspeicherung als Ebay-Käuferschutz

Ich bin kein radikaler Gegner der Vorratsdatenspeicherung. Wenn Autos Nummernschilder haben müssen, wenn es eine Ausweispflicht gibt und das OK ist, dann könnten ähnliche Regelungen für Online-Kommunikation begründbar sein.

Warum ich die Vorratsdatenspeicherung trotzdem falsch finde: Niemand begründet es. Beziehungsweise die vielen Begründungen, die ich lese, sind voll von Falschannahmen, unlogischen Schlüssen, blanken Lügen.

Der Berliner Senator Heilmann liefert heute in einem Gastbeitrag bei Zeit Online ein schönes Beispiel dafür, wie man mich nicht von der Vorratsdatenspeicherung überzeugt. Er geht ein paar der klassischen Irreführungen durch:

1. Die Ebay-Irreführung

Ans Geld aber geht es den Bürgern bei anderen kriminellen Aktivitäten: Wenn wir bei Ebay betrogen, unsere Konten geplündert oder unsere Daten abgeschöpft werden, um damit einen digitalen Einbruch vorzubereiten.

Wenn die Vorratsdatenspeicherung nur bei schweren Straftaten zum Einsatz kommen soll — wie ja immer wieder versprochen wird — dann sind die Ebay-Betrüger eigentlich fein raus. Gibt es eine Straftat mit geringerem Rang vor Justiz und Ermittlungsbehörden?

Selbst wenn man die Vorratsdatenspeicherung als ultimatives Mittel gegen Ebay-Betrüger ins Felde führen will, gibt da ein kleines Problem: Ebay-Betrüger müssen auf irgendwelchen Wegen die Ware oder das Geld kassieren. Die Datenspur zu ihnen existiert auch ohne Vorratsdatenspeicherung. Wenn sie nicht erwischt werden, haben sie also bereits einen Weg gefunden, solche Hindernisse zu umgehen.

2. Die Vier-Wochen-Saga

Wenn die Polizei beispielsweise auf beschlagnahmten Rechnern auf die IP-Spuren stößt, dauert es meist mehr als drei bis vier Wochen, um die Adressen zu entschlüsseln und auszuwerten. Dann aber kann man sich den Gang zum Ermittlungsrichter sparen, weil die Daten für die Zuordnung der IP-Adressen schon gelöscht sind.

Zunächst einmal: IP-Adressen muss man nicht „entschlüsseln“. Die IP-Adressen von Ebay-Betrügern lassen sich in Minuten ermitteln. Selbst wenn man einen Richterbeschluss braucht, ist es heute offensichtlich kein Problem, vielen IP-Adressen Namen und Adressen zuzuordnen. Die Redtube-Abmahner zum Beispiel hatten überhaupt kein Problem, mit Gerichtsbeschlüssen die Daten von über 10000 Bürgern zu bekommen.

Aber es gibt natürlich auch andere Fälle. In Wahrheit dauert es sogar oft genug über zwei Jahre bis Forensiker Datenträger von Verdächtigen auswerten. Dort gefundene IP-Adressen sind so gut wie wertlos. Mit und ohne Vorratsdatenspeicherung. Weshalb Polizeivertreter nach Einführung der Vorratsdatenspeicherung auf eine Verlängerung der Fristen drängen werden.

3. Die extrem merkwürdigen Vergleiche

Die Gegner der Vorratsdatenspeicherung argumentieren, dass man mit entsprechenden IT-Kenntnissen seine IP-Anschrift verschleiern könne und dann die Vorratsdatenspeicherung nichts bringe. Ja, das stimmt. Aber wir verzichten auch nicht auf Türschlösser, nur weil man dafür Nachschlüssel anfertigen kann.

Durchaus korrekt: Leute, die schwere Straftaten begehen, haben schon vor einigen Jahren die Notwendigkeit entdeckt ihre Identität zu verbergen. Die Metapher zeigt wieder, dass Heilmann Ermittlungserfolge gegen Kriminelle verspricht, die die unterste Klasse darstellen. Und die sollen ja eben nicht durch Vorratsdatenspeicherung abgedeckt werden, oder?

Wenn ich eine Einbruch-Metapher verwenden darf: Staat und Wirtschaft haben und in den letzten Jahren eindrucksvoll bewiesen, dass sie unsere Daten nicht schützen oder nicht schützen können. Statt Daten wegzusperren, plädiert Herr Heilmann dafür, unsere Wertsachen in den Wohnzimmern auszubreiten — sichtbar für jeden vorbeigehenden Passanten. Es ist kein Problem, schließlich haben wir Türschlösser. 

Warum die Vorratsdatenschutz Datenschutz und nicht Ebay-Käuferschutz sein soll, hat Herr Heilmann irgendwie nicht erwähnt.

Vergesst Passwörter!

Der Klau von E-Mail-Adressen und Passwörtern grassiert. Als Lösung sollen wir uns neue, bessere Passwörter ausdenken und weitermachen wie bisher. Mit aktuellem Virenschutz. Bis dann die nächste Datenbank geknackt wird und wir das Passwort „5klGä77hyphy456456“ doch wieder bei acht Diensten genutzt haben. Also denken wir uns ein 48-Zeichen-Passwort mit 14 Ziffern und flämischen Umlauten aus.

Die meisten Accounts, die man heute anlegen muss, sind reine Wegwerfaccounts. Bei jedem Produktforum, bei jeder kostenlosen Testversion soll man E-Mail und Passworte angeben. Was machen wir damit? Nichts. Ich kann mit dem Passwort eines solchen Accounts keine Dinge bestellen, nicht mein Konto belasten, es verschickt keine rechtssichere E-Mail.

Statt also für jeden dieser Accounts ein neues Passwort auszudenken, denke ich mir stattdessen für jeden Wegwerf-Account eine andere E-Mail-Adresse aus. Bei meinem Provider habe ich quasi unbeschränkte Weiterleitungen kostenlos enthalten. Ich kann in deutlich unter zwei Minuten Torstens-abobe-account@online.de anlegen und die auf meine richtige E-Mail-Adresse weiterleiten lassen.

Wenn dann jemand die Datenbank des Anbieters knackt oder ich aus anderen Gründen Spam auf diese E-Mail-Adresse bekomme, lösche ich die Weiterleitung einfach. Ich muss mir kein neues Passwort ausdenken, weil der Angreifer meinen Account nicht anderen Accounts bei Facebook, Amazon, Google zuordnen kann. (Die haben sowieso andere Passwörter) Bei den Wegwergfaccounts kann dann auch das Passwort 123456 lauten.

Google, Datendienstleister

Ich war ein wenig überrascht, über die empörte Diskussion über die Google-Neuerwerbung Nest, die Heizungssteuerungen und Feuermelder für Hipster vertreibt. Sicher: Der Preis ist so hoch, dass Google wahrscheinlich einen Plan hat, wie dieses Startup noch mehr Geld einbringen soll. Einen Paradigmenwechsel sehe ich ausgerechnet dieser Akquisition nicht. Zum einen: Wer kauft diese teuren Nest-Sensoren, wenn beim Lebensmitteldiscounter nebenan seit Jahren elektronische Heizungssteuerungen zum Billigpreis verkauft werden? Die haben zwar keine App, sparen aber mit ein paar vorgefertigten Nutzerprofilen fast genau so viel.

Zum anderen: Google kommt mit Nest nicht in unser Schlafzimmer — wie zum Beispiel Spiegel Online nahelegte — da ist Google längst. Wenn wir wirklich die Prämisse anlegen, dass Google alle unsere Daten sammelt und Querverbindungen herstellt, weiß Google längst Bescheid: Wann immer wir eine Geschwindigkeitsbegrenzung überschreiten, wenn wir eine Affäre haben, wenn wir nach Symptomen einer sexuell übertragbaren Krankheit suchen.

Das ist natürlich eine naive Ansicht — gerade die NSA-Affäre hat gelehrt, dass im Datengeschäft Paranoia ein Erfolgsfaktor ist. Freilich: Der Erfolg des Datengeschäfts bemisst sich derzeit nicht vorrangig nach wirklich korrekt erfassten Sachverhalten oder eingetroffenen Prognosen. Der wichtigste Erfolg ist, dass man ein Ergebnis liefert. Wenn Google Sich als Lebensversicherungsinteressierten Pizza-Junkie identfiziert hat, fließt das Geld. Bist Du keiner, sinkt der Preis mit der Zeit etwas. Aber eine Milliarde Android-Handies gleichen das leicht aus. Gleiches gilt für die NSA und die anderen Schnüffeldienste. Wer Terroralarme produziert, die No-Fly-Listen gut gefüllt hält und ab und an Gesprächsprotokolle hervorzaubert, hat seine Milliarden sicher. Zerschmettert man auf dem Weg noch ein paar Zentrifugen im Iran, sind Ressourcen eigentlich keine Frage mehr. Aber ich schweife ab.

Google weiß alles, aber es petzt nicht?

Zurück zu Google. Sollen wir weitermachen unter der Prämisse: „Google weiß alles, aber es petzt nicht! Zumindest nicht gegenüber meinen Freunden und meinem Chef.“ Oder sollen wir eine andere Prämisse heranziehen? Zum Beispiel: Google ist Datendienstleister. Demnach verarbeitet Google Daten nicht als Selbstzweck, sondern als Dienstleistung. Eine Dienstleistung an die Werbewirtschaft und eine Dienstleistung an uns, den Kunden, die die vielen Dienste von Google nutzen, die Websuche mit „googeln“ übersetzen, die ein Android-Gerät in der Hosentasche tragen und schon bald im Lenkrad.

Doch wenn Google unser Datendienstleister ist, dann gehören die Daten weiterhin uns. Und wir sollten darauf achten, dass sie uns weiter gehören. Absolute informationelle Selbstbestimmung ist dabei illusorisch, denn mit hundertprozentig individualisierten Daten lässt sich nun mal wenig anfangen. Dadurch, dass viele andere ihren Standort ständig an die Google-Zentrale melden, bekomme ich einen recht guten Eindruck von Staus auf Autobahnen und kann meine Ankunftszeit besser kalkulieren. Dadurch, dass alle ein wenig Kontrolle abgeben, können alle profitieren.

Doch in anderen Bereichen ist der Gemeinschaftsnutzen gering, die individuelle Datenlast jedoch enorm. Ich bin wahrhaftig kein Streetview-Bilderstürmer — aber wäre es wirklich zuviel verlangt, wenn jede der kleinen Kameras einen kleinen Objektivdeckel haben müsste? Die EU hat auch durchgesetzt, dass iPods eine gewisse Lautstärke zumindest in der Voreinstellung nicht überschreiten dürfen — ein kleiner lichtundurchdringlicher Schieber vor den Mini-Objektiven wäre in meiner laienhaften Sicht kein größerer Eingriff.

Aggregierte Daten für alle

Wo Datenvermeidung nicht praktikabel ist und die Kontrollen der Weiterverwendung der Daten nicht praktisch durchführbar ist, muss die Allgemeinheit auf ihren Daten bestehen. Nicht nur sollten die aggregierten Daten zum potenziellen Nutzen aller veröffentlicht werden — von den Google-Verkehrsmeldungen sollten auch Nicht-Google-Kunden profitieren. Sie müssen eh mit anderen Informationen abgeglichen werden um wirklich nützlich zu sein.

Wichtiger jedoch: Wir sollten auf die Existenz von offenen Schnittstellen, auf APIs bestehen. Wenn ich ein Android-Handy habe, will ich nicht nur auf Google-Dienste angewiesen sein und wer Google-Dienste nutzen will, sollte dies auch uneingeschränkt auf anderen Geräten machen können. Google hat hier weniger Arbeit vor sich als viele Konkurrenten — schließlich bietet der Konzern über sein Dashbord schon lange die Möglichkeit viele Daten zu exportieren und bietet ebenfalls zahlreiche APIs an. Doch gerade im vergangenen Jahr hat Google die Offenheit teilweise erheblich zurückgefahren. Wer legal Google Maps nutzen will, muss zahlreiche andere Bedingungen erfüllen, der Streit um YouTube für Microsoft-Smartphones war peinlich für beide Seiten. Und das detaillierte Rechte-Management auf Android funktioniert nur noch nach der Methode: Friss oder stirb.

Die gute Nachricht für Google: Sie werden unter verordneter Offenheit weniger zu leiden haben als Apple, Microsoft oder United Internet. Eine nicht so gute Nachricht: Google braucht die Konkuzrrenz. Dringend. Dass Google+ zum Beispiel immer noch keine Optionen zur Sortierung der Timeline anbietet, ist für den Suchmaschinenanbieter peinlich. Ebenso das, was Google Play Music an Playlists produziert. Hier kann der Konzern wirklich eine Infusion von Spotify gebrauchen, wo viele Kunden tatsächlich tolle Playlists angelegt haben, die bisher nur unter Spotify zu gebrauchen sind. Und wenn uns die Playlists wirklich gehören, können wir sie ja auch zu Google Music mitnehmen, anstatt die App nach dem kostenlosen Probemonat wieder zu deinstallieren.

tl;dr Statt Google-Panik zu verbreiten, sollten wir uns ganz pragmatische Regulierungen überlegen, die Datendienstleister in ihrer Rolle halten. Zum Beispiel Objektivdeckel für die vielen Winzkameras und einen gesetzlicher Zwang zu offenen Schnittstellen. 

Warum „The Big Bang Theory“ sterben sollte

Als „The Big Bang Theory“ ins Fernsehen kam, war ich sehr angetan. Endlich (mal wieder) eine Serie, die intelligente Plotlines mit Nerd-Memes verbinden konnte und dabei sowohl das „eingeweihte“ Publikum als auch den Mainstream ansprach. Die übergreifende Story ist zwar nicht besonders anspruchsvoll und großteils konventionell, die Autoren konnten aber durch das Spiel mit den Charakteren und popkulturellen Zitaten immer wieder neue Geschichten erzählen.

In diesem lesenswerten Aufsatz geht ein selbst identifizierter Nerd mit der Serie hart ins Gericht. Statt mit den Charaktern zu lachen, sind die Serienschöpfer — insbesondere Chuck Lorre — Bullies, die den Nerds in der Serie die Hosen runterziehen und sie der Lächerlichkeit preisgeben.

And here’s my issue, here’s why The Big Bang Theory makes me feel uncomfortable. We aren’t laughing with Leonard, Sheldon, Raj and Howard. We’re laughing at them. Chuck Lorre has given us four exceptionally intelligent, nerdy main characters and he’s positioned us as an audience against them.

Ich teile diese Diagnose nicht ganz — zumindest nicht für die ersten Staffeln der Serie. Es stimmt: Das lachende Publikum führt einen in die Richtung, auch dass der Produzent auch die Sexwitz-Ansammlung „Two and a half men“ verantwortet, stimmt nicht optimistisch. Dennoch konnte man sich in den ersten Staffeln eben nicht nur mit Penny identifizieren. Der eigentliche Held der Show war in meinen Augen Leonard, der in einer Welt voller Konsum und des medialen Statusvergleichs seinen Weg sucht, während er ständig mit seinen Unzulänglichkeiten konfrontiert wird. Selbst Sheldon hatte seine Momente, indem er schlichtweg den Elefanten im Raum identifiziert und benannte oder in seinen Grenzen großzügig sein konnte. Die Serienmacher achteten darauf, dass sie — wie einst die Simpsons — zwei Ebenen bedienten: Konventionelle Sitcom-Comedy für den Mainstream und Insider-Humor für Leute, die Internetkultur und Comics nicht nur aus zweiter Hand kennen.

Das ist jedoch lange vorbei. Die Witze wurden immer schaler, das Ensemble immer größer. Mittlerweile sind es nicht mehr vier (Raj war anfangs ein Anhängsel), sondern sieben Charaktere, die in jeder einzelnen Folge Plotlines bekommen müssen. Plus Gaststars, die dann mal eben die kompletten Handlung kidnappen. Da die Sendezeit nicht erhöht wurde, lässt dies schlichtweg keine Zeit mehr dazu, Geschichten zu erzählen. Die Folgen sind nur noch aufeinanderfolgende Witze, die Charaktere sind zu reinen Lieferanten von Pointen verkommen.

Wer heute eine Folge isoliert betrachtet, sieht keinerlei Wärme mehr. Jeder einzelne Charakter ist kindisch, absolut selbstbezogen und keineswegs liebenswert. Howard liefert die Juden- und Ehemänner-Witze, Raj darf den Rassismus und homophobe Klischees ausleben, der Comicbuchladenbesitzer ist die Figur, mit der man sich ungestraft über arme Menschen lustig macht. Er kann sich kein Essen oder eine Kinokarte leisten. Hahaha! Besonders peinlich: Amy Farrah Fowler, die von der asexuellen Wissenschaftlerin zur Möchtegernlesbe umfunktioniert wurde.

Einst war der Lachtrack nur eine Erzählebene. Jetzt ist er die ganze Geschichte. Lasst TBBT endlich sterben. Meinetwegen mit einem Bang.