Fan funding: Wer schon hat, dem wird gegeben

Ein neuer Kickstarter flimmert über meine Timeline: Zach Braff — bekannt aus „Scrubs“ — möchte Geld für einen neuen Film: Wish I was here. Ich habe sein letztes Werk „Garden State“ noch nicht gesehen, aber schon einiges Gutes darüber gehört.

Ich bin relativ sicher, Zack Braff hat das Zeug dazu einen tollen Film zu machen mit dem Geld, das ihm nun zugeworfen wird. Als ich zum ersten Mal auf den Link stieß hatte er schon 1,3 Millionen von angestrebten 2 Millionen Dollar zusammen. Aber ist das noch „crowd funding“, wie es anno dunnemal — also vor ein paar Monaten — vorgestellt wurde?

Zach Braff ist schon ein Star. Und wie er selbst sagt, hätte er keine Probleme Finanzierung für sein Projekt zu finden, aber zu einem Preis: Seine künstlerische Freiheit wird von den Finanziers beschränkt.

Und hier wird es jetzt albern und ich glaube Zach Braff kein Wort mehr. Die Finanziers könnten dafür sorgen, dass Jim Parsons nicht die Rolle seines Freundes spielen könne. Oder sein Kumpan aus Scrubs-Zeiten Donald Faison. Welche Investoren sollen so etwas machen? Im Gegenteil: Die Leute, die das Kickstarter-Publikum begeistern, begeistern gerade auch die Investoren.

Dass es mit der künstlerischen Freiheit nicht ganz so weit her ist, zeigt Braff in der nächsten Szene, in der er Nerdist-Shooting-Star Chris Hardwick einspannt und dem Publikum eine komplette Storyline auf der ComicCon verspricht. Hier appeliert er klar an den Investoren: Er bekommt eine Handlung ganz nach seinem Geschmack, wenn er nur Geld gibt. Zählt das nun als künstlerische Freiheit? Zudem: Hollywood liebt die ComicCon.

Crowd funding war zumindest nach meinem Verständnis eine Möglichkeit, jemanden aus der Crowd die Möglichkeiten zu geben, die er sonst nicht gehabt hätte. Doch der egalisierende Effekt schwindet mit dem Auftritt der Reichen, Schönen und Prominenten. Das kann sicher auch gute Effekte haben, aber nennen wir es besser „fan funding“. Denn die crowd ist hier nicht der bestimmende Faktor, es sind keine Menschen wie die Empfänger des Geldes. Sie sind sondern eine Herde, denen man etwas verkaufen will: Fans.

Newsrausch

Ich weiß noch genau, wann ich meinen ersten Newsrausch hatte. Ich war gerade Praktikant bei der Online-Redaktion der Stuttgarter Zeitung und nach einigen Routineaufgaben bekam ich den Auftrag zugeteilt, den Tickerdienst zu übernehmen. Vor mir standen zwei Computer und drei Bildschirme. Auf zweien flimmerten die Tickermeldungen von drei Nachrichtenagenturen an mir vorbei, auf dem dritten schrieb ich.

Ich war sofort begeistert. An diesem Arbeitsplatz bekam ich alle möglichen Infos noch bevor sie irgendjemand anders bekommen konnte. (Außer natürlich den paar Zehntausend, die damals Agenturzugriff hatten.) Im Minutentakt ratterten ständig neue Meldungen in das Redaktionssystem und ich wählte aus, was unsere Leser aus der Welt erfahren mussten. Erdbeben in Asien, Wahlen in Europa, ein schwerer Autounfall in Stuttgart. Anders als bei legendären Nachrichtenmomenten wie dem Fall der Mauer oder den Progromen in Rostock fühlte ich mich nicht ohnmächtig, nicht nur in der Zuschauerrolle. Denn ich wählte aus. Nicht nur Sätze, Formulierungen, sondern die Realität.

Denn ich konnte die Muster erkennen: Die eine Agentur war bei Opferzahlen immer daneben, die andere schickte ihre Nachricht ein paar Minuten später mit teils unmöglicher Sprache. Also bastelte ich „meine“ Nachrichten aus zwei bis drei Quellen zusammen und — man möge mir die nostalgische Arroganz verzeihen — immer hatte ich recht in meiner Auswahl. Denn ich sah nicht nur Meldungen, ich sah die Matrix, das Muster, dass alles verband. Ich erkannte die kleinen sprachlichen Anzeichen, wann sich ein Agentur-Redakteur nicht sicher war und viel wichtiger: Ich wusste wie die Welt tickt.

Natürlich hatte ich keine Ahnung — ich bestückte den Ticker nur für ein paar Tage und zwei Redakteure passten auf mich auf. Wie den Tauben bei Aschenputtel oblag es mir Stücke hoch durchformatierter Sprache zu sortieren. Doch ich fühlte mich plötzlich wichtiger, als Akteur auf der Bühne des Weltgeschehens. Dabei dürften meine Werke damals kaum Leser gehabt haben. Internet war damals ein Silberstreif am Horizont.

In den folgenden Jahren konnte ich von zu Hause den Newsrausch erleben. Mit Gleichgesinnten recherchierte ich den aktuellen Geschehnissen nach, mit Begeisterung tauschten wir die neusten Bilder aus, die im Gegensatz zu dem standen, was da noch im Fernsehen behauptet wurde. Fernsehen? Pah! Wir sind im Internet. Wir sind das Internet! Unsere Realität ist Echtzeit. Und mit ständig neuen verfügbaren Quellen – Nachrichtenticker, Google Maps, Facebook-Profile — kam ich mir immer schlauer vor. Man muss nicht warten, bis sich etwas neues ereignet, man schaut einfach in das Privatleben der Menschen, die durch das Nachrichtengeschen gewabert waren.

Doch mit den Jahren hat sich der Rausch gelegt. Zwar verfolge ich immer — ich sage mal: berufsbedingt — noch viele Geschichten in der Pseudo-Live-Ansicht des Internets. Doch bei den Ereignissen in Boston sagte ich mir: Da ist so viel Rauschen, das hat so wenig mit mir und meinem Leben zu tun. Das kann ich später in der Tagesschau sehen. Und auf den Kick der Klicks, der Illusion der Realität und Klarheit verzichten.

Hallo, mein Name ist Torsten. Ich bin Newsaholic. Und ich bin trocken seit — wisst ihr was? Ich bin es nicht. Aber ich arbeite dran.