Netzopa erzählt: DDOS

Heute berichten die Medien von der wahrscheinlich größten DDOS-Attacke, die man bisher dokumentiert hat. Nicht nur werden jede Sekunde Gigabyte an Daten auf die Ziele abgefeuert, das Gefecht soll auch das Netz insgesamt verlangsamen. Ich habe zwar nicht davon bemerkt, aber es wird berichtet.

Was ist ein DDOS-Angriff? Es ist ein bisschen so, als würde man seinen Gegner mit Wattebällchen bewerfen. Datenpakete sind klein und weich. Die Hardware auf die sie auftreffen, macht den ganzen Tag und jede Minute nichts anderes als Bits und Bytes anzunehmen und weiterzuleiten. Der DDOS-Angriff ist jedoch ein regelrechter Sturm aus Datenpaketen. Es sind einfach zu viele um sie ordentlich verarbeiten zu können. Und wie bei einem Schneesturm, ist es schwer auszumachen, woher der Schnee denn kommt — alles ist weiß und flockig. Ganz besonders hinterfotzige DDOS-er konzentrieren ihre Wattebällchen auf verletzliche Ziele, wie den Tank eines Autos (Ihr dachtet wohl nicht, ihr kommt hier ohne einen Autovergleich raus? Aber es kommt noch besser.) Ein DDOS ist ein Daten-Shitstorm. Aus Watte. Mit Datenpaketen.

Meine erste Begegnung mit Shitstorms hatte ich sehr früh in meinem Netzleben. Damals — wir schrieben noch ein anderes Jahrtausend: statt Euro gab es De-Mark und ECU, und Justin Bieber hieß noch Justin Timberlake — waren neben Foren das so genannte IRC meine erste Heimstätte im Netz. Der Internet-Relay-Chat war und ist ein relativ simples Chat-System. Text-basiert, ohne Audio, Video — und damals ohne Clients, die Smilies in knuffige, eklige Gesichterchen verwandelten. Hier war die Echtzeit, man konnte direkt mit Menschen anderer Herkunft sprechen, und das über ein Analog-Modem. PFRRRIIIIÜÜÜÜÜÜTTKRZKRKRT.

Ein schon damals erstaunliches Feature von IRC war die Vernetzung verschiedener Server. Was wir heute so wichtigtuerisch und geheimnisvoll „Cloud“ nennen, war damals ein simpler Zusammenschluss von Servern. Da ein einzelner Server mit Zehntausenden Chattern überlastet war und Entfernung zum Server noch eine größere Rolle spielte, wurden die Server zusammengeschaltet. Man konnte sich auf einem australischen Server einwählen und relativ zeitnah mit jemandem in Bulgarien sprechen. Der Lag betrug dann zwar ein paar Sekunden, aber wenn man jede Äußerung erst tippen muss, passt das schon.

Ein weiteres Feature von IRC war die Absteckung von Claims. Man chattete primär nicht von Person zu Person, sondern in so genannten Channeln. Es gab Tausende Channel, die sich zu bestimmten Themen zusammenfanden. Die CCC-Sympathisanten hatten ihren Channel, die Amiga-Fans hatte einen anderen, die Justin-Bieber-Fans hatten keinen Channel, denn der hieß ja noch Timberlake. Aber ich schweife ab.

In jedem dieser Channel entstand eine kleine Gemeinschaft. In dem einen Channel war es verboten, ZU LAUT IN DEN CHANNEL ZU TIPPEN, in anderen war das Stellen blöder Fragen verpönt. Die so genannten „Ops“ waren die Wächter über das Channel-Leben. Sie konnten nicht nur das Topic eines Channels verändern und die Willkommensbotschaft festsetzen, sie konnten bestimmte Teilnehmer auch aus dem Chat hinauswerfen, sogar auf Dauer verbannen. Die Technik schenkte uns grenzenlose Kommunikation. Und wir machten eine Kleinstaaterei daraus.

Es kam, wie es kommen musste. Channel A vertrug sich nicht mit Channel B und Channel C bestand aus lauter arroganten Blödmännern. (Ja, mit Channel C meine ich #amigager.) Wenn sich zwei Kanäle mal so richtig raufen wollten, versuchten sie den Kanal des anderen zu übernehmen. Entweder ein U-Boot wurde eingeschleust, der sich den Status eines OP erschlich und alle anderen Ops rauswarf. Oder man griff zum DDOS.

Datenverbindungen waren damals nicht so sonderlich stabil. Und teuer. Wenn Verbindungen ab und an abbrachen, lief der Chat weiter — wurde aber getrennt. Aus einem Channel wurden dann zwei, die auf verschiedenen Servern unabhängig weiterliefen. Plötzlich war der halbe Channel weg, oder drei Viertel, oder man war plötzlich alleine. Wenn der so genannte Netsplit vorbei war, verbanden sich die Channel wieder und die Server mussten die zwei unterschiedlichen Realitäten wieder zu einer zusammenfügen. Wer genau sollte OP sein, welches Topic sollte bestehen. Und wenn plötzlich zwei Chatter mit dem gleichen Namen anwesend waren, konnte nur einer überleben. Der Highlander lässt grüßen. (Kinder, schaut es in der Wikipedia nach.)

Diesen Netsplit konnte man mit DDOS-Angriffen provozieren. Wenn man also Op im verfeindeten Channel werden wollte, musste man nur die Verbindungen der Server manipulieren und wenn die Attacke beendet war, war man plötzlich der König der Welt. Beziehungsweise: Man hatte das Op-Flag in einem Kommunikationsmedium, das niemand in 30 Kilometer Umkreis kannte. Und konnte alle anderen Ops entmachten. Mit ein paar vorgefertigten Skripten, musste man nicht mal schneller sein als die anderen. Man musste nur etwas arschlochhafter sein, ein solches Skript einzusetzen.

Nun, was ist draus geworden? IRC existiert noch, ist aber keine Heimat mehr. Die Kleinstaaterei haben wir immer noch in so vielen Bereichen. DDOS-Attacken gibt es immer noch. Und sie sind meist kein Ausdruck von Bürgerprotest und Selbstverteidigung, sondern die Machtspiele kleiner Arschlöcher, die das Netz in so kleine teile zerstückeln wollen, dass sie in ihrem Stück, die Größten, die Besten und Schönsten sind. Und die Doofsten.

Google — der freundliche Monopolist?

Es ist kaum möglich in Deutschland sachlich über Google zu diskutieren. Nicht erst seit dem Leistungsschutzrecht ist die Diskussion für meinen Geschmack zu polarisiert. Entweder man ist für Google oder man ist gegen Google. Je nachdem, wer gerade die Definitionsmacht ergreift, ist Google der Innovator, die Zukunftsmaschine, der freundliche benevolente Diktator, der uns Deutsche in die Wissensgesellschaft führt, nachdem wir grade dem Gilb des bundesdeutsch-vermieften Bildschirmtextes BTX entronnen sind. Oder Google ist der Milliardenkonzern, der sich nicht um unsere rechtsstaatlichen, moralischen oder geldbörslichen Werte schert. Der abkassiert. Der unseren Digitalwirtschaft keine Chance gibt zu konkurrieren. Und der uns zusammen mit Twitter, Facebook und Co zu degenerierten Klicksklaven macht, unfähig einen klaren Gedanken zu fassen ohne nach E-Mails und Likes zu checken.

Ich stehe da vermeintlich auf beiden Seiten. Wie fast jeder, der über zehn Jahre online ist, bin ich Google-Fan. Die Suchmaschine war ein Quantensprung für das Netz. Das Unternehmen hat so viel richtig gemacht, dass einige Fehltritte kaum ins Gewicht fallen. Google setzt auf Standards. Google lässt mich die Personalisierung der Werbung abschalten. Google hat einen wirklich guten Browser entwickelt. Und Android-Smartphones kann man rooten. Gleichzeitig verschließe ich jedoch nicht die Augen vor den negativen Aspekten. In der Auseinandersetzung um das Netz hat Google mit seiner „Verteidige Dein Netz“-Kampagne skurrilerweise die Gegenseite mit maßgeschneiderten Argumenten bedient, indem der Konzern seine Meinungsmacht auf Tausenden von Webseiten ausspielte. Und auch wenn 200000 für Unterstützung geklickt haben, kam bei der Legislative nichts davon an. Zudem ist die Entwicklung bei den Google-Produkten für mich als Konsumenten nicht ideal: Die Werbung auf YouTube ist mir inzwischen viel zu aggressiv, die Websuche und ihre vielen Schwestern sind viel zu unpräzise für meinen Geschmack.

Patrick Bernau hat eine Diskussion um Monopole angestoßen, was ich sehr richtig und wichtig finde. Wir sollten einen Schritt zurücktreten, die Lage betrachten und uns überlegen, wo wir hinwollen. Das Leistungsschutzrecht ist in meinen Augen ein Reflex, dem Web-Giganten mal so richtig gegen das Schienbein zu treten, um ihm zu sagen „So geht es nicht“. Wie es denn gehen soll — diese Perspektive fehlte. Warum das Gesetz eher das Gegenteil des erwünschten Zustandes herstellen wird, haben ich und andere oft genug aufgeschrieben.

Ist Google, wie Patrick Bernau meint, ein natürlicher Monopolist? Ist es Facebook, Amazon? Vielleicht. Wobei ich nicht die hohen Investitionskosten als ausschlaggebenden Faktor ansehen will, sondern den Netzwerkeffekt. Wir sind bei Facebook, weil andere bei Facebook sind. Wir kaufen bei Amazon, weil man auf Amazon alles kaufen kann. Und man kann so toll alles bei Amazon kaufen, weil alle bei Amazon kaufen. Jeder will bei Google gefunden werden und öffnet die Tore für den Google-Bot weit. Deshalb haben Konkurrenten wie zum Beispiel Bing es schwer dagegen anzukommen. Während die Microsoft-Suchmaschine mit Milliardenmacht crawlt, schenkt der deutsche Nahverkehr Google seine Fahrpläne. Und Millionen Android-Handies erfassen den Verkehrsfluss.

Die Diskussion, was nun mit den Monopolen ist, erscheint mir nicht so spannend, wie man mit Plattformen umgehen. Monopolisten haben Marktmacht. Und sie können ihre Monopolgewinne im einen Bereich dazu nutzen, andere Märkte zu erobern. Siehe Microsoft und Browser-Krieg. Doch das Internet-Explorer-Monopol wurde gestürzt, heute ist der Windows-Standardbrowser der Underdog, der standardkonform und schnell sein will. Der Markt funktioniert also, oder?

Statt Monopole zu betrachten, würde ich lieber einen Blick auf Plattformen werfen. Denn wer eine Milliarde User hat, kann auch ohne Monopole andere Märkte jenseits des Wettbewerbs erobern. Vor und nach dem Börsengang haben Journalisten alle paar Wochen eine neue verwegene These auf den Markt geworfen: Will Facebook den Musikmarkt erobern? Will Facebook den Gutschein-Markt erobern? Wird Facebook schlichtweg den Werbemarkt für alles übernehmen?

Nichts davon wurde wahr, aber die Befürchtungen sind sicher nicht aus der Luft gegriffen. Denn so verhielten sich die Monopolisten, die wir bis dahin kannten. Die neuen vermeintlichen Web-Monopolisten haben sich erstaunlich unmonopolistisch verhalten. Bei der Suche nach „Suchmaschine“ konnte und kann man bei Google als Top-Treffer immer Links zu Konkurrenten finden — ich habe es eben ausprobiert und Google selbst war nicht mal auf der ersten Ergebnisseite. Das wäre der Bundespost oder der Telekom kaum passiert. Google und Facebook haben nie den Ehrgeiz gezeigt, die Daten, die wir ihnen vermeintlich so leichtsinnig anvertrauten, wirklich gegen uns zu verwenden.

Und doch: Google baut fleißig immer weitere Wissensmacht auf. Habe ich vor Jahren noch mit Entgeisterung zugesehen, wie Nutzer teilweise jede einzelne Webadresse in Google eintippten, statt sie direkt in die Browserzeile einzutragen, hat Chrome das Prinzip zum Normalzustand erhoben. Browser und Suchmaschine sind eins geworden. Smartphone und Google sind eins geworden. Und Google profitiert: durch Werbung, durch verkaufte Apps, bald durch die Handy-Geldbörse. Im „Fegefeuer der Eitelkeiten“ wurde das Geschäft eines Wall-Street-Brokers mit jemandem verglichen, der einen riesigen Kuchen zerteilt und von den Krümeln lebt. Google ist Krümel-Milliardär. Ist das schlimm?

Und doch: Die Dominanz der wenigen Konzerne hat handfeste Nachteile. Der Markt funktioniert in Teilen nicht. Google hat wegen der — ob aus Geiz oder wegen der überzogenen Forderungen — keine Musikvideos online? Das wäre doch ein sehr breites Feld für einen Konkurrenten, der mit einem vernünftigen Kompromiss vormachen könnte, wie es geht. Doch wo ist der? Was hält uns Deutschen ab ein GEMA-lizensiertes Musikportal online zu stellen? Wo ist die präzise Suchmaschine, die ich mir wünsche. Sicher gibt es Aufsätze und Kleinkonkurrenten. Die leiden jedoch daran, dass sie doch nicht so viele Seiten so aktuell in ihren Datenbanken haben — oder das gefundene nicht so gut sortieren wie Google.

Ist Google ein Monopolist? Unklar. Hätte ich gerne mehr Konkurrenz? Auf alle Fälle.