Die Urheberrechtsfriktion der Piraten

Da ich grade schon beim Thema Schramm-Buch bin: Nachdem sich beide Seiten genug angeschrien haben, könnte man ja nun in die Sachdiskussion übergehen. Die Kritiker Schramms haben natürlich recht damit, dass es einer prominenten Vertreterin der Piratenpartei gut angestanden hätte, den Zugang zu ihrem Werk freier zu gestalten. Gleichzeitig haben ihre Unterstützer damit recht, dass man auch dann wenn man Veränderungen durchsetzen will, irgendwie im bestehenden System leben muss. Konkreter: Verlage wären sicher nicht abgeneigt, ein Prestige-Projekt unter Creative Commons zu veröffentlichen. Dann aber hätte der Vorschuss für das Buch nahe Null gelegen. Und irgendwie müssen auch Piraten ihren Lebensunterhalt finanzieren.

So hatte Wikimedia Deutschland auch ein Buch im etablierten Verlag Hoffmann und Campe unter Creative-Commons-Lizenz herausbringen können, dazu habe sogar ich einen meiner Texte gestiftet. Das Projekt erhielt ein wenig Anfangsapplaus, die versprochene erweiterte Digitalversion ist jedoch nie erschienen. Schließlich habe ich das Buch selbst eingescannt und gemäß der Lizenz kostenlos veröffentlicht.

Heute hat der Landesverband der Piratenpartei einen laut eigener Mitteilung mutigen Vorschlag für das Urheberrecht, der nach ihrer Auffassung die Quadratur des Kreises schafft: Einerseits sollen die Rechte des Urhebers gestärkt werden, andererseits sollen Nutzer entkriminalisiert werden. Zentraler Punkt deshalb: Privater Dateitausch soll künftig legal sein.

Nun gibt es wohl kaum jemanden, der annimmt, der Verlag hätte das Buchprojekt von Julia Schramm auch nur angefasst, hätte es jeder kostenlos herunterladen können. Die Zielgruppe ist netzaffin, hat Tablets und Kindles. Zudem macht das Netz macht keinen großen Unterschied zwischen privaten und nicht-privaten Dateientausch: Wenn ich die Datei googlen kann, dann ist es egal, wer das Buch denn hochgeladen hat und wie viele Werbebanner auf der Seite sind. Creative Commons hat es in meinen Augen nie geschafft vernünftig zwischen kommerziell und unkommerziell zu unterscheiden – ach deshalb wird die Abschaffung der NC-Klausel immer wieder gefordert. Die von den Piraten als Alternative genannten Abomodelle gibt es schon in Form der mächtigen Plattformanbieter, die sich als Tummelplatz der Netznutzer anbieten und überall Geld kassieren, wo sie es problemlos können. Die Masse verdient das Geld für Google, Apple, Amazon — der Großteil der Contentlieferanten sieht jedoch nie auch nur einen Cent, stattdessen allzu oft ein Fehlermeldung, dass ihr Content zum Schutz der Konzerninteressen gesperrt wurde.

Nun haben die Piraten vorgeschlagen, den großen Schalter umzulegen. Julia Schramm und nach und nach alle anderen Autoren bekommen in der Folge keine Vorschüsse mehr — und davon leben nun einmal die meisten Buchautoren in Deutschland. Es ist eine in meinen Augen elementare Existenzberechtigung der ach so überkommenen Buchverlage. Man könnte sie freilich durch Kickstarter-Plattformen ersetzen, die Paul Coelho sicher Millionen und Jeff Jarvis Hunderttausende einspielen werden. Doch wie sieht es für Publizisten wie Julia Schram aus? Immerhin: Zumindest ein MacBook bekäme sie wohl auch sicher schnell.

Dies ist nicht das Ende der Diskussion. Es ist der Anfang. Wie geht es weiter nach dem großen Schalter umlegen?

Die Dauer-Kampagne gegen jeden

Thomas Knüwer hat die geheime Medienkampagne gegen die Piraten aufgedeckt und bekommt dafür von den Piraten reichlich Applaus. Das entschädigt ihn für die kleinen Nachteile. Zum Beispiel kann er eine Woche keine Socken tragen, weil sich seine Zehennägel ein groteskes Eigenleben entwickelt haben, als er schrieb, dass sich die Kanzlerin auch wegen der Piraten mit Startup-Unternehmern trifft. Er weiß das besser, aber ihm fiel wohl grade nichts ein, um den Einfluss der Piraten auf das etablierte System zu dokumentieren.

Aber zum eigentlichen Thema: Wie könnte man Thomas Knüwer nicht zustimmen, dass eine Medienkampagne gegen die Piraten im Gange ist? Man muss sich nur die grotesken Auswüchse der Berichterstattung um das Buch einer prominenten Piratin ansehen, dieses Stille-Post-Spiel, bei dem jeder noch ein paar starke Adjektive hinzufügt, um die Verlogenheit der Piraten im Allgemeinen und der der Frau Schramm im Besonderen auszudrücken. Und dann werden sogar Nachkarter zum Thema veröffentlicht, wie gemein doch die Boulevardmedien waren, um dann deren Kraftausdrücke brühwarm zu zitieren.

Nun — man kann einwenden: Diese Kampagne wird derzeit gegen jeden geführt. Egal ob Bettina Wulff, Jenny Elvers-Elbertzhagen oder Mitt Romney — jeder wird in dieser Medienmaschinerie nach dem fast gleichen Rezept verhackstückt. Die erste Welle von Meldungen greift einen vermeintlichen Skandal auf, dann kommen die vernichtenden Kommentare und Analysen, dann ein paar neue Artikel über neue Interviewäußerungen und schließlich die Gegenanalyse, die gegen den Strom schwimmt, die den Medienzirkus oder das jeweilige Establishment aufs Korn nimmt. Manche Akteure werden gleich von der ersten Medienwelle begraben, andere surfen auf ihnen. Wasser bekommt aber jeder zu schlucken.

Man könnte fast seine Uhr danach stellen: Alle drei oder vier Stunden muss ein ganzes Set neuer Aufmacher auf die Seite. Im Internet des schnellen Klicks gibt es nur noch Boulevardmedien. Denn nach der klassischen Definition gab es die Boulevardmedien, die jeden Tag mit schreinden Schlagzeilen ihre Käufer aufs Neue finden müssen. Und dann gab es die Abonnementzeitungen, die ihren festen Leserstamm hatten und deshalb eben nicht auf allzu viel Geschrei auf der ersten Seite angeweisen waren. Online-Medien sind solche Boulevardmedien. Und sie verarbeiten die komplexe Realität, wie es ihren Arbeitsabläufen entspricht — und die werden demnach gestrickt, was Klicks bringt.

Medien in der Bundesrepublik waren immer Tendenzbetriebe. Man konnte formaljuristisch keinen Autoschlosser feuern, weil er Sozialdemokrat war, einen Redakteur konnte man jedoch aus weltanschaulichen Gründen relativ einfach entfernen. Und so liegt der Verdacht immer nahe, dass ein empörender Artikel immer auch der Weltanschauung des Verlegers, des Herausgebers, des Chefredakteurs entspricht. Doch sehen wir uns etwas weiter um: Die Medien drucken neben entsetzlich verpeilten Feuilletonartikeln, die über das Böse des Internets, der Piraten und allem Neuen schwadronieren auch Gastartikel und sogar regelmäßige Kolumnen der Piraten.

Denn Medien lieben die Kontroverse. Fast nichts bringt den Leser mehr dazu zu einem Medium zu greifen, als ein satter Konflikt. Jemanden, den wir eh nicht leiden konnten, macht oder sagt Blödsinn. Gehen wir achselzuckend an einer solchen Gelegenheit vorbei oder riskieren wir doch einen Klick? Meine Timeline bei Twitter lässt da kaum Zweifel zu: Jede Woche lese ich entsetzte Beschwerden über das Niveau der Diskutanten bei Günther Jauch und dennoch schalten viele jede Woche von Neuem ein. Und auch dieser Blogbeitrag funktioniert nach dem Prinzip: Im ersten Absatz etwas Kontroversen-Namedropping, dann eine starke These, die Gegenthese und ein paar mikrige Links und Beispiele, die meine subjektive Sicht als Trendanalyse qualifizieren sollen. Leute klicken gerne sowas.

Was machen wir nun damit? Kann ich Euch sagen, dass es keine Kampagne gegen die Piraten gibt? Sicher nicht, aber das hängt sehr davon ab, was man unter Kampagne versteht. Dass SIE (TM) Piraten Buchverträge anbieten, um die Partei zu schädigen, halte ich jedoch für eine hirnverbrannte Behauptung. Nicht weil die Buchverleger so edle Menschen wären. Sondern weil sie eine solche Aktion samt Aufteilung der Kosten derzeit eher nicht hinbekommen würden. Und: Die Piraten liefern genug Kontroverse frei Haus. Boulevardmedien müssen sie geradezu lieben.

tl;dr: Medien sind so. Wenn ihr sie ändern wollt, müsst ihr mehr darauf achten, wohin ihr klickt und was ihr ihnen zurückgebt.

Ich bin für Meinungsfreiheit, ABER…

  • …aber DAS muss ja wirklich nicht sein.
  • …aber sie muss hintenan stehen, wenn Leben gefährdet sind.
  • …aber der Islam! DER ISLAM!
  • …aber vielleicht sollte man sie umbenennen in „Recht ein gewaltiges, dummes Arschloch zu sein“.
  • …aber wenn sie auf andere Meinungen trifft, gibt das Ärger.
  • …aber im Internet kennt sie zu wenig Grenzen. Offline war alles besser.
  • …aber wäre es nicht schön, wenn wir uns ab und an über Fakten unterhalten?
  • …aber wie alle anderen Grundrechte ist sie nicht schrankenlos.
  • …aber ich habe Angst davor, was passieren wird.
  • …aber Leute wie ich können sie uns nicht leisten.
  • …aber wer hört uns denn zu, wenn wir nur meinen und nichts verbrennen?
  • …aber ich bin müde. Muss ich zu allem eine Meinung haben? Kann nicht Mal jemand anderes für mich meinen? Was meint Ihr?

Begriffsproblem Kinderpornografie

Immer Mal wieder gibt es die Forderung, dass man in der öffentlichen Diskussion nicht „Kinderpornografie“ schreiben solle, sondern eben „Dokumentation von sexueller Gewalt“. Beide Begriffe sind in zentralen Aspekten richtig und falsch.

Die Kritiker des Begriffs „Kinderpornografie“ kritisieren, dass das Wort die unterschiedlichen Phänomene „Pornografie“ und „Kinderpornografie“ gleichstellt. Da ist sicher etwas dran, wenn man andere Ausdrücke wie „Kinderportion“, „Kinderschokolade“, „Kinderstreitigkeiten“ vor Augen hält. Demnach wäre „Kinderpornografie“ sozusagen eine kleinere, weniger ernst zu nehmende Variante von Pornografie. Ich habe auch schon die Variante „Kiddie Porn“ gehört, die ich als eindeutige Verharmlosung empfinde.

Wenn ich auch zustimme, dass der Begriff „Kinderpornografie“ alleine nicht beinhaltet, dass es sich hier um eins der schlimmsten Verbrechen in unserer Gesellschaft dreht, ist dies alleine jedoch nicht Grund den Begriff abzulehnen. So werden Begriffe wie „Kindesmissbrauch“ oder „Kindeswohl“ eben nicht als Verkleinerung des allgemeinen Begriffs benutzt, das angehängte Wort wird sogar verstärkt.

Weg von der Wortklauberei: Ein weiteres Argument ist, dass Pornografie an sich legal und vielleicht sogar positiv belegt sei. Dem würde ich mich auch nicht ganz anschließen. Zwar hat die Playboyisierung der Medienwelt, die Hugh Hefners Villa als Disneyland für Erwachsene feiert, sicher zu einem schiefen Bild des Gewerbes geführt, das solche Dinge wie Zwangsprostitution überdeckt. Auch Ausdrücke wie „voll porno“ negieren ein Problem.

Dennoch ist der zentrale Aspekt von Pornografie nicht selbstbestimmte Sexualität, sondern eben die Darstellung von Sex mit dem Ziel den Betrachter sexuell zu erregen. Wer Amateurporno auf YouPorn ansieht, woher weiß er, dass es sich dabei tatsächlich um einvernehmliche Akte handelt?

Der Ausdruck „Dokumentation sexueller Gewalt“ hat sicher den Vorteil, dass unmissverständlich klar wird, dass es hier um Gewalt, um ein Verbrechen geht. Doch das Wort „Dokumentation“ ist extrem irreführend. Es impliziert, der dokumentierte Vorgang werde ohnehin stattfinden, was im Fall der organisierten Kinderpornografie-Beschaffung und -Verteilung oft nicht so ist. Auch wenn nicht immer monetäre Faktoren entscheidend sind — der viel zitierte Milliardenmarkt existiert wohl nicht — Kinderpornografie ist auch Währung innerhalb einer Szene, die sich auch über das Internet zusammenfindet.

Gleichzeitig negiert der Begriff „Dokumentation“ den psychischen Effekt beim Betrachter. Die meisten Konsumenten von Kinderpornografie betrachten die Filme und Fotos nicht, um dem Verbrechen auf die Spur zu kommen — diejenigen, die es tun, leiden oft unter enormen psychischem Stress. Es geht um sexuelle Triebe, um Befriedigung und leider auch um Triebverstärkung. Kriminologen haben gezeigt, dass sich zumindest ein Täterkreis an den Filmen und Fotos vor tatsächlichen Übergriffen auf Kindern geradezu psychisch aufgerieben haben. Kinderpornografie macht etwas mit uns und die Veränderung liegt unter den Ebenen unseres Wesens, über die wir rationale Kontrolle ausüben. „Dokumentation“? Eher nicht.

Was bleibt also zu tun? Wir haben zwei unperfekte Begriffe. In meinen Augen sollte man daher beide in den entsprechenden Kontexten verwenden und ihre Defizite dabei nicht außer acht lassen.