Wirtschaft. Wachstum. Selbstironie?

Gestern sah ich erstmals ein neues Werbeplakat der Bundesregierung, das ich unbedingt fotografieren musste.

Die Bildidee ist angestrengt witzig. Die Bundesregierung –und insbesondere das vom FDP-Chef geführte Bundeswirtschaftsministerium — tut alles, damit wir nicht mit der angejahrten Technik fuhrwerken müssen, während die modernen Laptop-Besitzer im Hintergrund längst nach Hause gegangen sind. Aha. Haha.

Doch was soll das Ganze? Hier wird kein spezielles Programm beworben, der Bürger kann sich nicht beteiligen oder informieren. Sicher: Da ist eine Webadresse. Aber dort erfährt man so gut wie nichts. Förderporgramme für innovative Unternehmen? Ja, solche Leute erreicht man nur durch Plakate, auf denen nichts von diesen Förderprogrammen steht. Ist es vielleicht ein Förderprogramm für die Plakatkleberindustrie?

Das Bundeswirtschaftsministerium wollte mit dem Altcomputer im Vordergrund eine Vision zeigen, die das moderne Deutschland mit seinen wackeren Ministerialen verhindern werden. Doch in Wahrheit ist es eine Karikatur dessen geworden, was man von der IT-Kompetenz der Bundesregierung erwartet. Dass mit dem Leistungsschutzrecht nun ein Gesetzentwurf vorgelegt wurde, der viel Unklarheit bringt und bei dem sich aber kein Volksvertreter bisher traut die erhofften Konsequenzen plastisch zu erläutern, ist nur ein Bruchstück der öffentlich sichtbaren Innovationsverhinderungspolitik.

Das Internet wird heute nicht umgestellt

In vielen Beiträgen wurde der World IPv6 Launch Day in den letzten Tagen thematisiert — und meist falsch. Eine typische Formulierung:

An diesem Mittwoch ändert sich die Architektur des Internets: Provider, Betreiber von Webseiten und Hersteller von Internetgeräten aktivieren weltweit den neuen Adressstandard IPv6.

Das ist jedoch nicht nur eine unzulässige Verkürzung, es ist falsch. Wer gestern mit IPv4 surfte, surft höchstwahrscheinlich auch morgen noch mit IPv4. Und wer morgen mit IPv6 surft, tat es höchstwahrscheinlich auch letzte Woche. Das legt schon die Wortwahl nahe: Eine Architektur ändert sich nicht über Nacht. Und in den Artikeln tun sich die Autoren schwer zu erklären, was sich denn heute konkret ändert. Das hat einen einfachen Grund: Es ändert sich nicht wirklich viel. Der Launch Day ist in erster Linie eine PR-Aktion. Eine legitime PR-Aktion, aber eben doch PR.

Die — angesichts der Größe des Internets und der Dringlichkeit des Themas — erschreckend wenigen Teilnehmer des Aktionstages haben ihren Beitrag oft schon vor Monaten geleistet. Und diejenigen, die tatsächlich den 6. Juni nutzen, stellen nicht wirklich auf IPv6 um. In den meisten Fällen sorgen die Admins lediglich dafür, dass ihre Webseiten auch direkt über IPv6 erreichbar sind. Der Unterschied zu vorher ist gering: Die Webseiten bleiben per alter IPv4-Technik erreichbar und wer heute schon auf IPv6 surft, konnte auch bisher Google und Facebook nutzen. Wichtigster Mangel der vermeintlichen Revolution ist die fehlende Auswirkung auf das Publikum. Kein deutscher Privatkunde surft plötzlich mit IPv6.

Der Gedanke, dass das Internet an einem Tag „umgestellt“ würde, ist widersinnig. Denn das Netz hat keine zentrale Entscheidungsinstanz, die ähnlich der Deutschen Bundespost Mal zentral neue Postleitzahlen einführen könnte. Sicher: Es gibt Organisationen wie die Internet Assigned Numbers Authority (IANA), die IP-Adressen zuteilt. Doch diese Zuteilung ist eher technischer Natur, die IANA ist machtlos, den Nutzen der zugeteilten Nummern vorzuschreiben. Die Standardisierungsgremien können die Nutzer lediglich drängen, doch bitte auf eine neue Technik zu wechseln. Und das Beharrungsvermögen vieler Player im Markt kann man sehen, wenn man sieht, wie viele Rechner noch mit Windows 98 betrieben werden. Wieso Geld ausgeben, es läuft doch?

Das Internet ist hauptsächlich ein Netz, gesponnen aus Millionen von Vereinbarungen. Bis sich alle auf etwas Neues einigen, dauert es Jahre. Bis sie es tatsächlich tun, dauert noch länger. Denn wer den ersten Schritt macht, hat im Zweifel die meiste Arbeit, die meisten Kosten. Wenn die Telekom komplett auf IPv6 wechseln würde, hätten andere Provider wieder die Möglichkeit deren veraltete IP-Nummern zu nutzen, um ihre eigene Umstellung auf die lange Bank zu schieben.