Netzsperren: Drei verpasste Jahre

Im Oktober 2008 habe ich meinen ersten Artikel über das Gesetz geschrieben, was später als „Zensursula“ bekannt wurde.

In einem Interview mit dem Hamburger Abendblatt erklärte die Ministerin: „Wir schließen die Datenautobahn der Kinderpornographie.“ Die Abgeordneten des Bundestages seien über alle Parteigrenzen hinweg bereit, eine entsprechende Gesetzesinitiative zu unterstützen.
Ziel der Sperre sei die steigende Zahl von kommerziellen Seiten, die Kinderpornographie verbreiten. „Ich zerstöre da einen lukrativen Markt, der auf dem Rücken zerschundener Kinder aufgebaut ist. Es ist unsere Pflicht, aktiv zu sein“, sagt die Ministerin. „Ich will einen Damm bauen gegen die Flut der Bilder, indem wir den Zugang für den Kunden blockieren.“ Entsprechende Bilder wirkten oft wie eine Einstiegsdroge für den Konsumenten, der einfache Zugang sorge für einen „permanenten Hunger nach Nachschub“. Auf den Listen des Bundeskriminalamtes (BKA) seien schon über 1000 Webseiten verzeichnet.

Zweieinhalb Jahre ist das her. Es wird weitere Monate dauern, bis das Zugangserschwerungsgesetz endlich aus den deutschen Gesetzbüchern verschwunden ist. Und dann steht ja noch die Auseinandersetzung auf EU-Ebene an.

In diesen drei Jahren habe ich wie viele andere – entschuldigt das Wort – Netizens einen Aufbaustudiengang Realpolitik gemacht. Bis heute glaube ich, dass viele der beteiligten Politiker gute Absichten hatten. Doch in dieser Zeit haben wir plumpe Lügen gehört, Unverstand, Spitzfindigkeiten. Wir haben gesehen, wie ernste Themen zur politischen Verhandlungsmasse wurden. Wir sahen Profis beim Taktieren zu, lernten neue Arten der Intrige kennen und konnten nichts machen als immer wieder zu sagen: Das ist der falsche Weg. In der Zeit habe ich auch viel über Kindesmissbrauch gelernt. Mir blieb die Horrorshow erspart, die Bilder anzusehen, die auf den Festplatten so vieler Computer liegen. Unmenschlicher Nervenkitzel? Krankhafte Triebe? Und das Leid der Kinder — da möchte man gerne die Augen verschließen.

Man könnte nun sagen: Ende gut, alles gut. Wie haben alle etwas gelernt. Dank „Zensursula“ wurde eine scheinbar in Konsum und Privatleben verlorene Generation wieder politisiert. Und das vermeintliche Tabu Kindesmissbrauch wurde wieder ans Licht gezerrt, so dass jetzt vernünftige Maßnahmen zur Bekämpfung des Leids ergriffen werden können.

Doch wenn wir uns die Bilanz ansehen, ist da ziemlich wenig. Wir haben keine Ersatzpläne. Nach wie vor wissen wir viel zu wenig über den realen Kindesmissbrauch. In der Zeit, in der um die symbolische Netzsperre gerungen wurde, sind keine wissenschaftlichen Studien entstanden, die uns weiter helfen könnten. Wir haben weiterhin kaum Präventionsangebote, die Pädophilen helfen nicht zum Täter zu werden. Oder denjenigen, die keine pädophile Neigungen haben und dennoch Kinder missbrauchen.

Dass Bilder von Kindesmissbrauch im Internet getauscht werden, können wir nicht gänzlich verhindern. Es ist eine inhärente Eigenschaft der Freiheit. Die Unverletzbarkeit der Wohnung, dicke Wände verhindern auch, dass wir den alltäglichen Missbrauch in den Wohnungen sehen. Trotzdem greifen wir nicht zu Abrissbirnen und Vorschlaghämmern, um Gucklöcher in die Wände von Kinderzimmern zu schlagen.

Die drei Jahre sind weitgehend verloren. Wir stehen noch immer ratlos vor der Realität.