Viral ist auch egal

Moin-Moin Social-Media-Manager der elbkind GmbH,

ich bin ganz sicher, dass ihr Euch viel, viel Mühe gegeben habt bei Eurer ganz, ganz tollen Kampagne für Telekom Recruiting, die ihr mir so fürsorglich per Mail geschickt habt.

Super auch, dass ihr einen „Viral Teaser“ zentral auf die Videoabspielplattform YouTube gestellt habt. Ich bin schon ganz hibbelig, wenn ihr mir ellenlang von dem „überraschenden Schockeffekt“ schreibt und in die Massenmail sogar die URL eines meiner Blogs und meinen Vornamen eingebettet habt. „Sympathische und zielgruppengerechte Ansprache“ nennt ihr das – beim Pitch in der Firmenzentrale in Bonn ist das bestimmt runtergegangen wie Öl. Und dass in dem total tollen Spot auch noch echte Telekom-Mitarbeiter mitspielen: authentischer geht es ja nur wenn auch noch Paul Potts mitspielt.

Es gibt da aber ein kleines Missverständnis. Ein „Viral Teaser“ ist eben nicht „viral“, wenn ihr Pressemitteilungen an Leute verschickt, zu denen ihr offenkundig keine sozialen Beziehungen habt, die ihr nicht kennt und deren Blog ihr nicht gelesen habt. Das ist dann auch keine „Social Media Kampagne“, es verdient wohl nicht Mal den Namen „Kampagne“. Vergleichbar wohl am ehesten mit den netten Damen von den Telekom-beauftragten Callcentern, die mich ständig anrufen, obwohl ich kein Telekom-Kunde mehr bin. Oder kurz gesagt: es ist alberne Zeitverschwendung.

Mit tuffigen Grüßen aus Köln

OpenDNS und der Netzneutralitäts-Showdown?

David Ulevitch, Gründer von OpenDNS, beklagt sich gegenüber der Washington Post über eine Blockade durch einen der weltweit größten Provider, weiter könnten folgen:

Q: Why do you have a dog in this fight?
A: We just want a level playing field. Verizon Wireless is blocking us and there are reports that ISPs want to block OpenDNS. They don’t want third party domain name services.

Q: Why would they do this?
A: We have 20 million users, it’s free (for consumers) and we are making money. We serve search results and ads like Yahoo or Google to people who have opted in and chosen to use my service. So we monetize traffic that way. The ISPs see this as all this revenue they are leaving on the table that they believe belongs to them. I don’t know why they think so because it doesn’t belong to them.

Der Fall könnte ein Showcase für Netzneutralität sein. Ein Zugangsprovider dreht einem innovativem Startup den Hahn ab und raubt seinen Kunden, die Möglichkeit dessen Service zu nutzen. Ein Verstoß gegen Netzneutralität. Sonnenklar! Spätestens seit dem Google-Deal hat sich Verizon ja eh auf der Seite des Bösen platziert, ist einer der Vorzeige-Schurken in der Netzneutralitätsdebatten.

Schönheitsfehler: Verizon erklärt gegenüber der Washington Post, dass Sie OpenDNS gar nicht blockieren.

A Verizon Wireless spokeswoman said Monday its network engineers „see no issue from our end“ and that the service isn’t being blocked.

Aber auch wenn das Dementi falsch wäre: OpenDNS ist im Gegensatz zu dem Namen der Firma alles andere als offen. Die Firma macht genau das, was Netzneutralitäts-Verfechter manchen Access-Providern vorwerfen. Statt standardgemäß die Kunden bei falscheingaben mit der korrekten Fehlermeldung zu bedienen, biegt OpenDNS diese Anfragen um, um für sich Werbeeinnahmen zu generieren. Also gehört OpenDNS eigentlich zu den Bösewichten, die intransparent und heimtückisch das Netz vergewaltigen. Aber gleichzeitig sollten die Kunden doch die Möglichkeit haben, sich selbst zu entmündigen, oder?

John F. Kauder

Ich appeliere an jeden Verleger, jeden Redakteur unseres Landes, die eigenen Standards kritisch zu untersuchen und sich die unmittelbare Gefahr für unser Land vor Augen zu führen. In Zeiten des Kriegs haben sich Regierung und Presse schon früher gemeinsam in Selbstdisziplin geübt um unautorisierte Enthüllungen an den Gegner zu verhindern. In Zeiten einer erhöhten Gefährdungslage haben die Gerichte entschieden, dass selbst das privilegierte Recht auf freie Meinungsäußerung hinter dem öffentlichen Interesse nach Sicherheit zurücktreten muss.

Siegfried Kauder John F. Kennedy — zehn Tage nach dem Beginn der CIA-gesteuerten Invasion der Schweinebucht.

Überwachungslogik (5)

Der Verkehr lahm gelegt, die Polizei überlastet, die Bevölkerung in Panik — und nur wegen eines vergessenen Koffers. Wie soll ich rechtzeitig zu meinem wichtigen Termin kommen?

Vielleicht sollten wir vergessliche Menschen internieren. Natürlich nur vorübergehend. Bis der Terrorismus beendet ist.

Überwachungslogik (3)

Die einfachste Methode, ein Gemetzel zu vermeiden: man muss möglichst viele Männer mit Maschinenpistolen auf Plätzen mit vielen Menschen stationieren.

Überwachungslogik (2)

Wenn Vorratsdatenspeicherung gegen unmittelbar bevorstehende Anschläge hilft, warum hilft nicht auch Google Street View?

Lassen Terroristen ihre Schläfer-Camps verpixeln?

Überwachungslogik

Wenn „Gefährder“ ihre Handies abgeben sollen, sind sie dann nicht schwerer zu orten?

Jedes GSM-Gerät ist doch eine kleine GPS-Wanze in Wartestellung.

Vorratsdatenspeicherung light – auch ohne Schaar

Derzeit ist die Empörung groß über Herrn Schaar, der aus Sicht einiger Aktivisten mal eben den Kampf gegen die Vorratsdatenspeicherung einseitig beendet hat und ohne Not die Kapitulationsbedingungen verhandeln will. Kai Biermann kommentiert auf Zeit Online:

Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts war das alte Gesetz gestoppt worden, ein neues wurde nicht erarbeitet. Zwischen dem Justizministerium, das sich weigert, ein neues Speichergesetz zu schreiben und dem Innenministerium, das dies fordert, besteht ein Patt. Doch was schadet das?

Nun: solche Patts sind nichts Gutes. Ein Personenwechsel an der Spitze eines Ministeriums würde reichen, um das Steuer komplett herumzureißen — ob nun in die eine oder in die andere Richtung. Schaar argumentierte auf dem netzpolitischen Kongress in Berlin, dass im europäischen Rahmen der Kampf eh verloren sei – und stieß dabei auf unter anderem auf Widerspruch von Ralf Bendrath, der im EU-Parlament hart daran arbeitet, das zu verhindern.

Doch der politische Streit wird wieder einmal von der Technik überholt. Ein wesentlicher Streitpunkt ist nämlich, ob Provider die vergebenen IP-Adressen abspeichern sollen, damit Strafverfolger später nachvollziehen können, wer verbotene Online-Aktivitäten begangen hat. Denn im deutschen Markt sind seit 20 Jahren dynamische IP-Adressen die Regel. Bei jeder Einwahl bekommt man eine neue Nummer. Nach dem spektakulären Scheitern der Vorratsdatenspeicherung sind nun einige Provider wieder dazu übergegangen, gar nicht mehr zu speichern. Trennt der Kunde seine Verbindung, ist er nicht mehr ermittelbar. Andere Provider speichern sieben Tage — wenig Zeit für die Strafverfolger.

Durch diese scheinbare Konstante der dynamischen IP-Adressen haben sich Netizens einen halbwegs anonymen Raum eingerichtet, der der Offline-Öffentlichkeit ähnelt: in der Regel gehen wir unerkannt durch die virtuellen Straße – manchmal stellen wir uns einem Gegenüber vor, selten müssen wir uns ausweisen. Die IP-Nummern, die weithin sichtbar an unserer digitalen Brust kleben, würden einen solchen unverbindlichen Umgang mit dem Lebensraum Internet erschweren oder unmöglich machen — Computer vergessen nicht. Durch den ständigen Wechsel der Adressen wurde das Problem nicht allzu drängend. Wenn hingegen die IPs erfasst werden, können sie auch missbraucht werden — so das Argument der Gegner der Vorratsdatenspeicherung. Wir müssen uns beobachtet fühlen.

Ich persönlich erlebe das heute schon: Statt wie früher zwei Mal täglich weist mir mein Kabel-Provider nun höchstens alle paar Monate eine neue IP-Adresse zu. Wenn die Polizei also wissen wollte, wer hinter meiner IP-Nummer steht, muss sie nicht mehr auf eine Vorratsdatenspeicherungs-Datenbank zuzugreifen – sie kann schlichtweg meinen Provider fragen, wer jetzt gerade hinter der IP steht. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich auch vor 14, 30 oder 90 Tagen die selbe Adresse hatte, ist ziemlich hoch – im Gegensatz zu Providern wie zum Beispiel Hansenet. Ich wäre also ziemlich dumm, wenn ich von meinem Kabel-Anschluss Hollywood-Filme tausche, mich in fremde Server hacke oder Verleumdungen in die Wikipedia poste. Ich stehe unter potenzieller Beobachtung und bin leicht zu finden.

Offensichtlich kann ich damit leben. Die schlechte Nachricht: bei Euch sieht es demnächst auch so aus. Zumindest vielleicht. Denn obwohl die Internetwirtschaft sich auf Biegen und Brechen darum herumdrücken wollte, IPv6 kommt nun endlich. Die Provider investieren Millionen. Mit der neuen IP-Technik fällt die Notwendigkeit der dynamischen IP-Adressen komplett weg. Mein Wohnzimmer könnte eine Million IP-Adressen reservieren – und es wären immer noch genug Adressen für jeden da.

Und es kommt noch besser:

Zunächst ist der wichtige Umstand festzuhalten, dass eine IPv6-Adresse zweifach weltweit eindeutig werden kann und meistens auch wird. Zum einen geschieht dies zwingend im Präfix, also grob in den ersten 64 Bit der Adresse, welche dem Kunden vom Internetprovider zugewiesen werden. Dies ist erforderlich, um Datenverkehr dem entsprechenden Internetanschluss zuführen zu können. Zum anderen wird oft noch einmal der Interface Identifier, also die letzten 64 Bit der Adresse, die vom Kunden eines Providers eigentlich völlig frei für jeden Rechner gewählt werden könnten, weltweit eindeutig. Die 128 Bit lange IPv6-Adresse besteht aus Präfix und Interface Identifier und jede einzelne Information lässt für sich recht sicher auf einen Teilnehmeranschluss oder gar Teilnehmer schließen. Wenn auch nur eine dieser Informationen sich nicht regelmäßig ändert, hat man also ein eindeutiges Indentifizierungsmerkmal.

Lange Rede, kurzer Sinn: mit IPv6 könnte zumindest bei den reinen IP-Daten die Notwendigkeit zur Vorratsdatenspeicherung wegfallen. Es gibt zwar privacy extensions im IPv6-Protokoll — aber wie die auf Provider-Seite umgesetzt werden und in der Hard- und Software der Kunden tatsächlich unterstützt werden, steht in den Sternen. Es gibt keinen Masterplan — und offenbar auch keine politische Auseinandersetzung darum.

Code is law. Es wäre tragisch mit anzusehen, wie die Politik mal wieder so von der Technik überrollt wird, weil das Thema doch ach so kompliziert ist. Dass keiner davon gewusst hat, kann später niemand sagen – die privacy extensions des IPv6-Protokolls sind schon fast zehn Jahre alt.