Gatefilterkeeper

Marcel Weiß antwortet mir auf meinen kleinen Gatekeeper-Rant vom vergangenen Monat – und hat sogar einen Tippfehler gefunden:

Ich schrieb schrub (sic!) damals:

Die Legende vom Ende der Gatekeeper ist der Heiliger Gral der Netzbegeisterten. Doch wer mit offenen Augen das Netz betrachtet, sieht ständig neue Gatekeeper – ob sie nun Google, Carta, Michael Arrington oder Stefan Raab heißen. Aufmerksamkeitsströme können gelenkt werden – wer dabei den besseren Job macht, bleibt abzuwarten.

Die Antwort von Marcel Weiß:

Das verkennt die Situation signifikant. Wie war die Mediensituation im Massenmedien-Zeitalter? Verhältnismäßig wenige Redakteure entschieden darüber, was die Öffentlichkeit erfährt und was nicht.Im besten Falle: Konkurrenz unter den Medien – der Markt- sorgte dafür, dass Informationen an die Öffentlichkeit gelangen, selbst wenn der eine oder andere Chefredakteur sie zurückhalten will. Entweder greift ein anderer sie auf, oder man veröffentlicht sie doch selbst, weil man eben diese Veröffentlichung an anderer Stelle befürchtet.Im schlechtesten Falle: Die Chefredakteure einer Handvoll überregionaler Tageszeitungen bestimmen das Geschehen. Aufgrund der Machtkonzentration sind Absprachen, um Agenden zu pushen oder Geschichten unter den Tisch fallen zu lassen, zumindest theoretisch möglich. Geschichten können leichter unter den Tisch fallen.

Zunächst ist es bemerkenswert, dass wir laut Weiß das „Massenmedien-Zeitalter“ verlasssen haben. Aber lassen wir uns darauf ein: folgt man der Argumentation von Weiß, war eine der wesentlichen Beschäftigungen von Redakteure das Unterdrücken von Nachrichten und Informationen. Das ist – gelinde gesagt – eine steile These. Denn die Chefredakteure einer Handvoll überregionaler Zeitungen konnten sich damals(TM) auf so ziemlich gar nichts einigen. Und wenn sie doch Mal an einem Strang zogen – zum Beispiel gegen die Rechtschreibreform – waren sie wenig erfolgreich.

Richtig ist vielmehr: Alleine Chefs von Regionalzeitungen konnten Themen unter den Tisch fallen lassen. In einer Gegend, in die nicht Mal der Landesfunk der nächsten ARD-Anstalt zum Berichten vorbeikommt, ist der Lokalredakteur erstaunlich mächtig. Doch der große Machtmissbrauch war auch hier die Ausnahme, nicht die Regel. Heute kommt der einst realitätsstiftende Lokaljournalismus nur noch in Extremfällen zum Zuge.

Nundenn, der netzbegeisterte Weiß hat zwar keine Erinnerung an die Vergangenheit, interpretiert sie aber mit Verve. Was sagt er zur Gegenwart?

Arrington kann Tech-Geschichten nach oben pushen, weil er sie auf TechCrunch einem breiten Publikum präsentieren kann. Er kann aber keine Geschichten verhindern, weil diese dann einfach von anderen Blogs aufgegriffen werden. Die Informanten suchen sich notfalls einen anderen Weg. Wenn die Geschichte in die Öffentlichkeit will, findet sie einen Weg. Heute einfacher als früher.

Er ist ein Filter, kein Gatekeeper.

Ein lustiger Schachzug. Filter, keine Gatekeeper. Dass beide Worte in diesem Kontext Synonyme sind, fällt gar nicht auf.

Aber mal ganz unpolemisch: Ja, Medien sind durchlässiger geworden. Die Legende vom gänzlich geschlossenen Komplex der großen Massenmedien ist zwar ein Zerrbild, aber tatsächlich können heute unter anderem über Blogs neue Öffentlichkeiten geschaffen werden, können sie die Sicht der Redakteure hinter dem Schreibtisch im Verlag korrigieren, ein Gegengewicht bilden. Das hat natürlich positive Effekte, aber eben auch negative.

Zum einen: wenn man die Latte sehr niedrig hängt, muss man lange nach den besseren Inhalten suchen. Und es gibt viele, viele schlechte Inhalte. Was zum Beispiel Tech-Blogs wie TechCrunch in Sachen Persönlichkeitsrechte abziehen, ist unterste Boulevard-Schule.

Zum anderen: wichtige Themen haben es schwerer auf dem Radarschirm zu bleiben. Die deutsche Twitter-Karawane hat nur eine sehr eingeschränkte Kapazität – wenn pro Monat zwei bis drei Themen tatsächlich die Schwelle der Social-Media-Zielgruppe überspringen, ist das schon viel. Doch dann handelt es sich meist um Unsäglichkeiten, aufgebauschte Randnotizen. Dabei gibt es so viel mehr wichtige Themen, die unsere Aufmerksamkeit verdienen.

Und denen will ich mich nun widmen.