Parteitaktik FTW!

Medien und Bürger wenden sich von Christian Wulff als parteitaktischen Kandidaten Merkels für das Amt des Bundespräsidenten ab und wenden sich der vermeintlichen Alternative Joachim Gauck zu. Der ist so alternativ, dass die Regierungsparteien nicht überzeugend zu begründen wissen, warum sie ihn nicht selbst aufgestellt haben.

Ein taktischer Sieg für SPD und Grüne: Die Gauck-Nominierung ist Partei-Politik, die nicht nach Partei-Politik riecht, die opportune Wahl für die vermeintlichen Nicht-Opportunisten. Für die Linkspartei als fünftes Rad am Wagen ist das schwer zu verdauen.

Wie schlecht, zeigt Parteivorsitzender Klaus Ernst im Interview auf tagesschau.de:

tagesschau.de: Herr Ernst, offenbar erlebt Joachim Gauck zurzeit eine Welle der Sympathie, die ihn selbst überrascht. Müssen Sie da den Spielverderber spielen und gegen den Strom schwimmen?

Klaus Ernst: Es freut mich ja für Herrn Gauck, dass er in den Medien gefeiert wird. Aber das ist natürlich für uns nicht das alleinige Moment. Wir müssen feststellen, dass die Sozialdemokratie und die Grünen die Chance schlichtweg verpasst haben, dass die Opposition zu einem gemeinsamen Kandidaten kommt, indem sie uns ignoriert hat. Auch die SPD und die Grünen müssen merken, dass wir jetzt in einem Fünf-Parteien-System leben. Wenn die Regierungsparteien einen Kandidaten vorschlagen, dann ist es adäquat, dass die größte Oppositionspartei auf die anderen zwei zugeht und sagt: Lasst uns mal überlegen, wen es gemeinsam gibt oder gäbe. Dass die das gar nicht gemacht haben, ist für uns ein Affront, sodass wir einfach nicht akzeptieren, was uns vorgelegt wird.

Das erste Argument gegen Gauck ist also: Wir wurden nicht gefragt. Unverschämtheit!

Erst zwei Fragen später kommt dann zur Sprache, was denn gegen Gauck spricht – Ernst hätte gerne jemanden, der „in anderen Politikfeldern eine bestimmte Erfahrung hat“. Eine denkbar schwache Gegenrede.

Richtig desaströs wird es aber am Schluss des Interviews:

tagesschau.de: Bei der letzten Bundespräsidentenwahl hat die Linke ja eine eher unglückliche Figur gemacht mit einem Schauspieler in der Rolle eines Kandidaten. Haben Sie aus diesem Fehler nichts gelernt?

Ernst: Das ist aus meiner Sicht ganz unterschiedlich bewertet worden. Erstens hat Peter Sodann ein geschlossenes Ergebnis unserer Wahldelegierten erhalten. Zum Zweiten hat er mit seiner Popularität deutlich gemacht, welche Persönlichkeiten die Partei „Die Linke“ unterstützen. […]

Sprich: der Bundespräsidentenkandidat soll erstens der Partei nutzen und zweitens der Partei nutzen. Das mögen sich Gabriel und Özdemir auch gedacht haben – nach außen haben sie aber doch einige überzeugendere Argumente einfallen lassen.

PS: Eine stärkere Gegenrede gibt es von Caren Lay, Bundesgeschäftsführerin der Linkspartei. Sie sagte der „Leipziger Volkszeitung“

Weder Wulff noch Gauck stehen für sozialpolitisches Profil. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Joachim Gauck öffentlich protestiert, wenn die Regierung mit einem Sparhaushalt die Bürger schröpft. So einen Bürger-Präsidenten bräuchten wir aber.

Wenn Gauck sich in den nächsten Wochen freilich mit einer eben solchen Kritik positioniert, sieht das wieder nicht gut für die Linkspartei aus.