Wort zum Sonntag, 18 Uhr

Liebe Piraten,

es hat nicht geklappt. Keine fünf Prozent, keine drei Prozent, nicht einmal zwei. Aber ihr habt nicht wirklich an den Einzug in den Bundestag geglaubt? Oder daran, dass die Abstimmungen bei StudiVZ irgendwas mit dem amtlichen Endergebnis zu tun haben? Aber immerhin: Eins Komma ein paar Gequetschte sind beeindruckend, wenn die Wahlarithmetik Stimmen für Euch im Lager Schwarz-Gelb verbucht.

Jetzt ist es Zeit, nach vorne zu sehen. Ich bin mir sicher, dass am Wahlabend bittere Verschwörungstheorien auftauchen werden, die das Ergebnis erklären sollen – so etwas wie ein vorgeblicher Medienboykott. Macht die Augen auf: die Piraten haben größere und positivere Medienaufmerksamkeit bekommen als jede andere neu gegründete Partei in den letzten 10 Jahren.

Die Piraten haben allerhand erreicht. Natürlich hat es die üblichen Geburtswehen gegeben, aber 9000 Mitglieder sind beeindruckend. Wenn davon die Hälfte tatsächlich aktiv werden, dann habt ihr eine Basis für Netzpolitik. Fangt damit an.

In den nächsten Jahren heißt es: die außerparlamentarische Politik zu erobern. Damit meine ich nicht „Und alle so Yeah“, es geht um tatsächliche Politik. Mit 9000 Leuten kann man allerhand erreichen, auch ohne eine Stimme in den Parlamenten (okay: Stadtratsmandate ausgenommen). Wenn man im Wahlkampf mal eben mehr als 70000 Euro für einen (überraschend guten) Werbespot mobilisieren kann, wie viele Kongresse und Lobby-Aktionen lassen sich damit finanzieren?

Aber vorher ist viel zu erledigen. Einer der Punkte auf der To-Do-List: sich über die eigenen Ziele gewiss werden. Denn selbst in der manchmal so homogen erscheinenden Netz-Gemeinde gibt es sicher politische Grabenkämpfe. Ist das Auto ein Gadget und sollte daher möglichst frei fahren können oder ist es ein Umweltverschmutzer für Leute, die mehrere Stunden am Stück auf das Internet verzichten können? Sind Waffen ein Gadget? Haben Arbeitslose nur Pech oder sollten sie Unkraut jäten? Wo soll der Strom für den Quadro-Core-Prozessor herkommen und wer soll dafür bezahlen? Oder etwas näher an der Lebenswirklichkeit: Wie kann man effektiv dem Spam Einhalt gebieten ohne Meinungs- und Gewerbefreiheit zu gefährden?

Ein anderer Punkt: Funktionäre heranziehen, die Politik lernen. Leute, die jenseits der Inszenierung die poltischen Entscheidungsmechanismen kennen. Die wissen, was die Junge Freiheit ist. Die auch mal charismatisch sein können. Die Konzepte entwickeln, die über „Nein, das da wollen wir nicht“ hinausgehen. Netzneutralität, Meinungfreiheit und öffentlicher Rundfunk, um ein paar Beispiele zu nennen. Eine überzeugende Lösung im Bereich Urheberrecht erwarte ich von Euch nicht, aber darum drücken sich auch die anderen herum.

Eine weitere Herausforderung: Sucht Frauen. Es ist kein Zufall, dass die Piraten eine Frauenquote unterhalb von Gayromeo hat. Wie will man die Gesellschaft beeinflussen, wenn man nicht mal die Geschlechtergrenze überwinden kann?

Ich bin mir nicht sicher, wo die Piraten in vier Jahren sein werden. Aber es stehen interessante Zeiten an. Enjoy the ride.